„Wir brauchen eine Stadt, die ja sagt“

Bei freiem Eintritt kamen gestern Abend Wirtschaft und Politik im Salon Lendhafen zusammen, um mit Experten aus Marketing und Architektur über Strategien gegen den Leerstand im Handel der Landeshauptstadt Kärntens zu sprechen. Die Diskutanten sind sich einig: „Wir brauchen mehr Ermöglicher, als Verhinderer.“

Auf Initiative von Vorzeigeunternehmer Michael Pontasch fand Dienstagabend in den eigenen vier Wänden ein Forum für Stadtentwicklung mit großer Bürgerbeteiligung statt. Die Besucheranzahl ließ auf die Dringlichkeit der Thematik rückschießen – die Kellerräumlichkeiten der Theater-Hafenstadt waren gesteckt voll. Über zwei Stunden folgten die TeilnehmerInnen gespannt dem Thema „Der Handel ist weg! Was nun?“, das spürbar nur ein Auftakt einer brisanten Themenreihe sein kann. Schon während der Podiumsdiskussion kamen Publikumsgäste zu Wort und die konstruktiven Bürgerbeiträge rissen auch danach nicht ab.

Von Strategien einer Innenstadt

Die neue Innenstadt Part 1: Es geht um Leerstand, Lebendigkeit, Transformation. Mit diesen Schlagworten wollte der Moderator des Abends Michael Pontasch von den Podiumsgästen wissen, ob Krise Innovation schafft? Sylvia Gstättner, Direktorin Wirtschaftsbund Kärnten, Wolfgang Grillitsch, Leiter des Studiengangs Architektur d. FH Kärnten, Inga Horny, GF Klagenfurt Marketing GmbH und Philipp Liesnig, 1. Vzbgm. Klagenfurt a.W. stellten sich dem emotionalen Metier, das den Klagenfurterinnen und Klagenfurtern bereits viele Jahre unter den Nägeln brennt. Auch Wirtschaftsstadtrat Max Habenicht war unter den Salon-Gästen und hörte sich die Thematik aus erster Hand an.

„Früher fuhr man zum Benetton in Tarvis, heute surft man auf Amazonien“, Michael Pontasch.
„Wir brauchen eine Stadt, die ja sagt“
Michael Pontasch (2.v.l.) mit seinen Podiumsgästen Sylvia Gstättner, Pilipp Liesnig, Inga Horny und Wolfgang Grillitsch (v.l.n.r.).

Weltweite Transformation

Dass sich der Handel aus der Stadt zurückziehe, sei kein Einzelfall, betonte Architekt Wolfgang Grillitsch. „In New York herrscht ein Leerstand am Broadway, das ist kein ureigenes Thema Klagenfurts. Man muss immer die jeweilige Situation unter die Lupe nehmen. Städte wie Kapstadt sehen dann alle gleich aus, das wäre kontraproduktiv. Die Lösung liegt in der Individualität.“ Doch wie könne sich der innerstädtische Handel innovativ verhalten und die Kaufkraft halten? „Der Handel wird uns bestimmt nicht wegbrechen, aber gewisse Formen davon. Formen aus den 80ern ziehen sich zurück. Ein weiterer Trend: Manufactum. Menschen, die Dinge mit den Händen anfertigen. Der Handel der 90er hat sich schon ins Internet verlagert. Das individuelle Kaufen wird bleiben“, ist Marketing-Expertin Inga Horny überzeugt.

Der letzte Stadtbummel

Ob es überhaupt noch den klassischen Stadtbummel gäbe, war Pontasch neugierig. „Klar, ich liebe es, mich in Sachen Kleidung individuell beraten zu lassen. Ich mag das Flanieren“, entgegnete Horny, die von der Vertreterin der Unternehmen, Sylvia Gstättner Verstärkung bekam: „Wir beide sind ganz klassische Silver Ager, auf die sich der Innenstadthandel spezialisieren sollte. Ich glaube an diesen Erfolg, die Handwerksbetriebe, neue Konzepte und dass wir den Handel nicht isoliert betrachten dürfen. Wir müssen uns anschauen, wer in der Innenstadt wohnt, welche Menschen vor Ort sind. Es geht um das Rundherum. Wir haben auch schon viele Betriebe wie zum Beispiel Grüner, die früh auf das Internet gesetzt haben.“ Von anderen Städten könne man sich Concept Stores abschauen. Es sei aber nicht innovativ genug, einen stationären Laden rein mit einem Webshop auszustatten. „Junge UnternehmerInnen müssen von Haus aus eine Unterstützung bekommen, von Anfang an begleitet werden“, betonte Gstättner.

„Städte und Häuser können krank werden wie Menschen“, Wolfgang Grillitsch.
„Wir brauchen eine Stadt, die ja sagt“
Volles Haus: Großes Interesse am Format Salon Lendhafen und seine brisanten Themen.

Wohnraum in der Innenstadt

Hier schloss sich auch schnell der Diskussionskreis, denn: „Die Wohnbevölkerung ist eine neue Zielgruppe“. Diese hat aber einen deutlichen Haken, denn viele Wohnräume in der Innenstadt sind gar nicht auf dem Markt. Die Sanierung zahlreicher Leerstände ist ein großes Thema. „Städte und Häuser können krank werden wie Menschen. Wenn man rechtzeitig Fitness betreibt, kann man gegenwirken“, so Grillitsch. „Nur 1.800 Personen wohnen innerhalb des Rings. Das alte Hallenbad und das Messeareal sind Potenziale“, zeigte Philipp Liesnig auf. Laut ihm sei das studentische Wohnen in der Innenstadt zu entwickeln. Klar sei, dass der Handel nicht von sich aus die Frequenz bringen wird. Zuerst sei die Wohnbevölkerung aus der Innenstadt verschwunden, dann der Handel an die Peripherie, damit auch die Schulen, weil dort die Leute wohnen.

„Das Einkaufen passiert heutzutage nebenbei“, Philipp Liesnig.

Amerikanischer Krapfen als Kern des Problems

Seit dem Donut-Effekt in der Stadtentwicklung seien keine wichtigen Funktionen mehr im Zentrum angesiedelt. „Das war der falsche Schritt in keine Richtung. Diese Infrastrukturen zurückzubringen, wird nicht möglich sein. Einzig die Nutzungsvielfalt bringt die Frequenz.“ Auch, dass alles mit dem Auto erreichbar ist, sei nicht der richtige Ansatz, waren sich alle einig. Und, dass es ein langer, breiter Weg wird, der Innenstadt ihre ursprüngliche Funktion zurückzugeben. Ja sogar von einer neuen Identität am Beispiel von Ljubljana war die Rede. Dazu gehören aber nicht nur eine deutliche Verkehrsberuhigung, sondern auch Dienstleistungsangebote in den Erdgeschossleerflächen der Innenstadt und ein klares Mobilitätskonzept, das viele nach wie vor vermissen.

Ströme nutzen und lenken

Das chaotische Mobilitäts-Nichtkonzept rund um die überregional bestens besuchten Konzerte im Wörthersee Stadion brachte die Gemüter endgültig in Wallung. Solche Ströme seien Potenziale, die einer besseren Stadtkommunikation bedürfen. Damit Gäste nach einer solchen Veranstaltung mit Strahlkraft bis nach Bayern nicht aus Mangel an Möglichkeiten privat weiterfeiern, sollte gästeorientiert in die Stadt gelenkt werden, so Horny: „Da brauchen wir auch gute öffentliche Verkehrsmittel. Und es geht um die Information gegenüber den Unternehmen und das Aufmerksammachen, dass die Gastro zu diesen Terminen mitspielt.“ Geld für Besucherströme solle aber keines ausgegeben werden, wenn es nach Grillitsch geht: „Was man subventionieren könnte, sind Menschen, die sich unternehmerisch ausprobieren wollen. Diese Nutzungen sind authentisch und könnten längerfristig bestehen.“ Er empfehle einen Weg weg von großen Events hin zu nachhaltigen Festivals, die länger andauern. Klagenfurt solle mehr auf die Subkultur setzen und die Corona-Generation wieder unter die Leute holen.

„Wir brauchen eine Stadt, die ja sagt“
Die Diskutanten sind sich einig: In den Köpfen müsse viel passieren, denn Klagenfurt sei eine Stadt der kurzen Wege.

Temporäre Nutzung der Leerstände

Um sich vom 80er-Jahre Bild der Innenstädte zu lösen, braucht es neue Nutzungskonzepte. Ein vielfach gefordertes sind Leerstände niederschwellig zur Verfügung zu stellen. „Das ist der bunte Mix, den eine Stadt braucht. Start-up- & Cross-over Konzepte, fluent Bases, die unterschiedlich genutzt werden“, so Gstättner über den Handel, die zur Zwischennutzung auch das Best-Case-Practice „Summer of Pioneers“ aus Berlin einbrachte, das ein halbes Jahr dauert und Menschen zum Bleiben bewegt. Denn es gehe darum, sich etwas für 365 Tage einfallen zu lassen. Das Erlebniseinkaufen, ein lässiger Tag mit gutem Essen, Trinken und neuen Eindrücken, die man mit nach Hause nimmt. Für das abendliche Veranstaltungsmanagement wurde sogar ein Nighttime-Mayor vorgeschlagen, der die Lücke in der Kommunikation schließen soll.

Viertelentwicklung als Teil der Lösung

Unternehmer Michael Pontasch, Initiator des Projekts Hafenstadt, hat es vorgemacht. Seine Vision trägt nach Jahren des langen Atems Früchte: Wer in Klagenfurt frühstücken, mittagessen, oder Abends auf einen Drink gehen möchte, kehrt in die immer offene Gaststätte ein, kann vor Ort im Deli-Laden heimische Köstlichkeiten einkaufen oder an Kulturveranstaltungen im Keller teilnehmen. Die Strahlkraft wirkt auf das ganze Viertel und hat selbst den Lendhafen für Initiativen wie das Hafenknistern aus dem Dornröschenschlaf gehoben. Und auch sie ist eine Macherin: Tamara Eichner, die viel Potenzial in Klagenfurt sieht. Zu lesen in einem eigenen Beitrag [hier klicken].

In Stadtentwicklung einmischen

Dafür braucht es aber viel Bürgerbeteiligung. „Wir müssen die Bedürfnisse der Menschen, die in Klagenfurt leben wollen, einbeziehen, die Stadt darf Distrikte nicht am Reißbrett entwickeln“, wirft Gstättner ein, und weiter: „Manchmal müssen Menschen die Dinge selber in die Hand nehmen, sich in ihrem Umfeld darauf einigen, wie das Viertel entwickelt werden soll.“ Liesnig: „Die besten Ideen kommen von den Stakeholdern selbst.“ Dem entgegnete Grillitsch: „Ich warne vor einer extrem neoliberalen Privatisierung von Stadträumen. Man muss aufpassen, dass keine monofunktionale Struktur entsteht, wenn nur einseitige Interessen durchgesetzt werden.“ Dafür gehören gewisse Bereiche kuratiert. Mit einem Quartiersmanagement könne man kleine Ideen schnell umsetzen. Es geht also tatsächlich darum, echte Beteiligungsprozesse einzuführen, Ermöglichungsräume zu schaffen, die keinem aufgesetzten Prozess unterliegen. Ja sogar Anlaufstätten wie eine Innovationsabteilung werden gewünscht.

„Die Stadt Klagenfurt ist aktuell schlecht gemanagt“, Philipp Liesnig.

Zukunftsmusik: Klagenfurt als hippe, urbane Stadt?

Und doch fehlt noch der Kontakt zur Jugend, der vielerorts außer Acht gelassen wird. „Denn man weiß oft nicht, wie die junge Generation tickt“, legt Grillitsch die Partizipation der Jugend ans Herz und betont, die Stadt nicht zu sehr aufzuräumen und sauber zu machen. Auf dem Weg zum attraktiven Anziehungspunkt „muss man sich ja nur anschauen, was junge Leute brauchen: leistbares Wohnen, Kinderbetreuung, Gastronomie für den Abend und die Einkäufe nahe zu Fuß erledigen. Diese Rahmenbedingungen befruchten sich gegenseitig“, skizziert Liesnig eine Landeshauptstadt von morgen, und „Auf der anderen Seite muss man die Privaten in die Pflicht nehmen, Besitzer von freien Flächen mit Maßnahmen zu ihrem Glück eher zwingen.“ Die Verordnungen hat sehr wohl die Stadtpolitik in der Hand. Konkretere Maßnahmen fehlen, sowie ein gemeinsamer Plan.

Fortsetzung folgt

Kritische Stimmen meldeten sich aus dem Publikum, dass der Konsum bei der Diskussion an diesem Abend im Vordergrund stünde und die Aufenthaltsqualität auf der Strecke bliebe. Genau diese Meldungen zeigen, wie wichtig ein zweiter Teil dieses spannenden Formats Salon Lendhafen ist, und zwar zum Thema „Das Wohnzimmer der Stadt“. Dieser findet in Kürze statt. Same time, same station: 19 Uhr, Theater Hafenstadt. Alle Infos dazu gibt’s auf auf der Website hafenstadt.at

Fotos: Valentin von imsuedentv, Melanie Sass-Schweigreiter

M.U.T.letter

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