MUTAUSBRUCH: Fall Ott als Spionagethriller mit Kärnten-Connection

Schon sein Name klingt wie aus einem Roman von John le Carré: Egisto Ott, der „Spion aus Paternion“, steht im Zentrum einer veritablen Staatsaffäre. Auch die zweite Schlüsselfigur des täglich an Tragweite zunehmenden Skandals stammt aus Kärnten: Ex-Innenminister Herbert Kickl aus Radenthein, der mit einer höchst dubiosen Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT, dem österreichischen Geheimdienst) im Februar 2018 eine internationale Vertrauenskrise ausgelöst hat.

Leutselig, engagiert, in das Gemeindegeschehen integriert: Hinter der Biedermann-Fassade von Egisto Ott alias Ernesto Zanetti tun sich Abgründe auf, die an die Wiener Kanalisation erinnern, den Schauplatz des wohl bekanntesten Nachkriegs-Spionagefilms, „Der dritte Mann“. Wo 1949 Orson Welles als Harry Lime zur weltberühmten Zither-Musik von Anton Karas im besetzten Wien gefälschtes Penicillin verschob, soll der Polizeibeamte einen schwungvollen Handel mit Geheimdienstinformationen betrieben haben, die er – so lauten die Vorwürfe – auch an Russland ausplauderte. Er sitzt in U-Haft, es gilt die Unschuldsvermutung.

MUTAUSBRUCH: Fall Ott als Spionagethriller mit Kärnten-Connection
Egisto Ott, der „Spion aus Paternion“, steht im Zentrum einer veritablen Staatsaffäre.

Mission: Possible

Die genaueren Umstände der Spionagetätigkeit Otts haben viel Österreichisches an sich. So fiel im Sommer 2017 ein „Teambuilding“-Ausflug des damaligen Innenministers Wolfgang Sobotka mit seinem Kabinett im wahrsten Sinn des Wortes ins Wasser, als dessen damalige Mitarbeiterin und spätere Ehefrau von Bundeskanzler Karl Nehammer, Katharina, bei einer Kanufahrt so wild schaukelte, dass zwei (!) Boote kenterten. Mit den Spitzenbeamten des Innenministeriums gingen auch deren Handys baden, die zwecks Datenrettung kurz darauf beim BVT landeten. Ein dortiger Spezialist erklärte die Wiederherstellung für unmöglich, aber anstatt vorschriftsgemäß vernichtet zu werden, landeten die Geräte 2022 beim russischen Geheimdienst FSB.

Der Spion, dem sie glaubten

2017 wird der zweite Kärntner im Spiel, Kickl, Innenminister; Ott und sein Vorgesetzter, Martin Weiss, mit dem er angeblich eine „nachrichtendienstliche Zelle“ gebildet hat, sind nicht mehr im BVT. Weiss hat sich als Sicherheitschef ins Umfeld des späteren Wirecard-Pleitiers Jan Marsalek abgesetzt, Ott wird nach einer Suspendierung erstaunlicherweise trotz erheblicher Verdachtsmomente in die Sicherheitsakademie versetzt. Wo er munter weitermacht und im Auftrag von Marsalek und Weiss hunderte Personen ausspioniert, viele davon mit Russland-Bezug. Wie den bulgarische Russland-Experten und Investigativjournalisten Christo Grozev, der nach 20 Jahren seine Wahlheimat Österreich verlassen musste und in die USA geflüchtet ist. Er spricht von „extrem traumatischen“ Erfahrungen, Österreich habe die russische Unterwanderung lange unterschätzt habe. So hätten ehemalige Geheimdienstbeamte der Republik russischen Spionen geholfen, in seine, Grozevs, Wohnung einzubrechen und einen Computer zu stehlen.

Der Mann, der zu wenig wusste

Bis heute verteidigt FPÖ-Chef Herbert Kickl die für die österreichische Vertrauenswürdigkeit bei den westlichen Verbündeten ruinöse Razzia beim BVT, die staatsstreichartige Züge annahm. Die ÖVP verdächtigte Kickl kürzlich, er habe Ott bei einer Neuaufstellung des Geheimdienstes sogar in eine Schlüsselposition hieven wollen. Eine höchst seltsame Rolle spielte dabei wohl auch Kickls Generalsekretär im BMI, Peter Goldgruber, über den der damalige BVT-Leiter Peter Gridling sagt, er habe als „Vollstrecker“ Kickls eine „mehr als aktive Rolle an den Tag gelegt“ (Kurier, 29.8.2023).

Liebesgrüße aus Moskau

Vor dem Untersuchungsausschuss verweigerte der eher verhaltenskreative Ex-Spitzenbeamte Mitte März konsequent jegliche Aussage und bezweifelte die Rechtmäßigkeit des Ausschusses aufgrund angeblicher Verfassungswidrigkeit. Die gelebte Russland-Nähe der FPÖ, die sogar in einem „Freundschaftsvertrag“ mit der Partei „Einiges Russland“, einer Versammlung sämtlicher Getreuen des ewigen Präsidenten Putin, beschworen wird, rückt auch die andauernde EU-Kritik der FPÖ wegen der Unterstützung der Ukraine gegen die menschenmordende russische Aggression in ein besonderes Licht. Das Foto der brav vor Überraschungsgast Putin knicksenden Ex-Außenministerin Karin Kneissl, wahrlich keine Zierde ihres hohen Amtes, bei ihrer Hochzeit ist jedenfalls ein an Peinlichkeit kaum zu überbietendes Bilddokument dieses weltanschaulichen Sündenfalls.

Kärnten-Connection im Spionagethriller
Foto: picture alliance / ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Unser Mann in Dubai

Die ungeheuerliche Staatsaffäre um das BVT nimmt indes internationale Dimensionen an – und ausgesprochen österreichische Züge. Zitat aus dem „Standard“ vom 5. April: „Im Jänner 2021 fliegen Ott seine heimlichen Abfragen erneut um die Ohren. Ein halbes Jahr zuvor war Marsalek nach dem Zusammenbruch der deutschen Wirecard mit Weiss’ Hilfe nach Moskau geflohen. Deshalb wird Weiss im Jänner 2021 kurzzeitig festgenommen. In seiner Befragung gibt er zu, im Auftrag von Marsalek Personenabfragen bei Ott bestellt zu haben. Es kommt zur neuerlichen Hausdurchsuchung bei dem Polizisten, die Auswertung der gefundenen Datensätze füllt nun mehrere Tausend Seiten.

Während Ott in U-Haft kommt, überzeugt Weiss die Behörden, nicht fliehen zu wollen. Er darf nach Dubai ausreisen, wo er mittlerweile wohnt. In Chats spricht Marsalek später davon, dass er Weiss in die Emirate ‚evakuiert‘ habe. Die Chance, dass Weiss jemals in Österreich vor Gericht stehen wird, schätzen Sicherheitskreise als nahezu null ein.“

Das erste Top-Thema der bevorstehenden Wahlkämpfe liegt auf dem Tisch. Umso erbitterter wird der Kampf um die Deutungshoheit dieses versuchten Staats-Streichs und um die erfolgreichere Schuldzuweisung sein. Das p.t. Publikum darf gespannt sein, was noch zutage tritt; das ZIB2-Interview mit Innenminister Karner war als erster humoristischer Höhepunkt zweifelsohne vielversprechend.

M.U.T.iger

Klagenfurt ist eine Landeshauptstadt von internationalem Format: Straßen wie in der Mongolei und eine Wasser­versorgung wie im Tschad.

M.U.T.letter

Wissen, was die Kärntner Wirtschaft bewegt:

Das könnte Sie auch interessieren