Heide Pichler-Herritsch: Verschlafen wir die Zeitenwende im Tourismus?

Heide Pichler-Herritsch ist seit über 20 Jahren im Tourismus tätig. Egal ob sie Hotelbetriebe leitet, sich im Tourismusverband engagiert oder nunmehr bei zahlreichen Consultingtätigkeiten ihre langjährige Expertise einbringt. Ihr Innovationsgeist ist stets Triebfeder für neue Tourismusprodukte. In unserem Gespräch gibt sie einen tiefen Einblick in die Seele des Kärntner Tourismus.

M.U.T.: „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“. Ist dieses Versprechen angesichts der aktuellen Fachkräftethematik noch zeitgemäß? Lockt man damit Menschen an, die im Tourismus arbeiten wollen?

Heide Pichler-Herritsch: Also offensichtlich ist uns seit 30 Jahren nichts Besseres eingefallen, denn ich hatte von Anfang an ein Problem mit dieser Formulierung. Für mich ist die Arbeit im Tourismus eine der schönsten. Man kann mit Menschen für Menschen arbeiten und dabei großartige Inszenierungen und Erlebnisse schaffen. Das ist etwas, was mich immer angetrieben hat und nach wie vor antreibt. Ich glaube, dass die guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch genau aus diesem Grund im Tourismus arbeiten. Weil wenn ich sehe, dass sie bei der Arbeit ein Strahlen im Gesicht haben und sich freuen, dann kriege ich auch wieder ganz viel Energie zurück. Wenn ich nur dort arbeite, wo andere Urlaub machen, dann ist das für mich als Mitarbeiter viel zu wenig. Selbst, wenn aktuell den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Bonus-Aktionen vergünstigte Eintritte in Strandbäder oder Fahrten mit den Bergbahnen angeboten werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass sie fünf oder sechs Tage in der Woche im Betrieb arbeiten. Dort verbringen sie die meiste Zeit, nicht in der Region. Das ist recht nett, aber das lockt als Argument schon lange mehr keinen an, um hier in Kärnten zu arbeiten.

Ein stark strapazierter Terminus ist auch die Work-Life-Balance. Dabei wird das Thema aber oft nur auf Wochenarbeitsstunden oder die Vier-Tage-Woche reduziert. Was braucht zeitgemäßes Recruiting im Tourismus für Inhalte und Benefits, um Menschen zu begeistern?

Ich glaube das, was es am meisten braucht, ist Wertschätzung und Augenhöhe. Wir brauchen uns nichts vormachen: Der Job im Tourismus ist hart, egal ob Hotellerie oder Gastronomie. Da sind ganz viele Aufgaben, die nicht wahnsinnig spannend sind. Alle in einem Team müssen an ihrer Position eine Top-Leistung bringen. Egal ob Oberkellner, Abwäscher oder Stubenmädchen. Es liegt aber an der Führung und an der Einstellung. Denn Wertschätzung und Augenhöhe müssen vom Arbeitgeber ausgehen und gelebt werden. Man muss in der Lage sein, einen Sinn zu kreieren. Für alle Jobs in der Servicekette eines Betriebs. Für alle Menschen, die in einem Haus arbeiten. Auch der Abwäscher und das Stubenmädchen müssen wissen, wofür sie arbeiten. Jetzt nicht nur, dass sie ihre Arbeitszeiten abarbeiten, sondern dass sie spüren ein Teil des Ganzen zu sein. Und ein ebenso wichtiger Teil, um ein ganzheitliches Gästeerlebnis zu liefern.

Ich glaube, dass es mittlerweile bei vielen angekommen ist, dass es so nicht mehr geht. Die alten Konzepte funktionieren nicht mehr. (Foto: HPH Consulting)
„Ich glaube, dass es mittlerweile bei vielen angekommen ist, dass es so nicht mehr geht. Die alten Konzepte funktionieren nicht mehr.“ (Foto: PSB-Media)

Ist das in Kärnten schon angekommen? Brauchen wir dazu nicht neue Unternehmertypen. Muss hier nicht auf der Arbeitgeberebene ein Umdenken passieren?

Genau dort muss es passieren! Das ist das Thema. Ich glaube, dass es mittlerweile bei vielen angekommen ist, dass es so nicht mehr geht. Die alten Konzepte funktionieren nicht mehr. Wobei ich sagen muss, dass viele der guten Betriebe, auch wenn sie patriarchaler geführt werden, trotzdem ein gutes Mitarbeitermanagement haben können. Dass sie, nennen wir es mal, soziale oder emotionale Leistungen gebracht haben und bringen, vielleicht in einer anderen Art und Weise.

Wo wir in Kärnten wirkliche Probleme haben, sind die vielen Betriebe im mittleren Segment. Betriebe, bei denen aufgrund der kurzen Saisonen und der relativ niedrigen Preise, finanzielle Spielräume extrem gering sind. Hier reden wir von der breiten Masse. Es fehlt an Einfallsreichtum, Innovationsfreude und dem Willen zur Veränderung und Anpassung. Das liegt ein bisschen in der Kärntner Seele. Wir sind halt so: Jetzt schauen wir zuerst einmal und dann, wenn es bei den anderen funktioniert, dann machen wir es auch. Und das ist halt – finde ich – zu wenig. Da geraten wir immer mehr ins Hintertreffen. Denn der Mitbewerb in anderen Ländern schläft nicht!

Also hast du Sorge, wir verschlafen gerade was?

Na total! Deshalb mache ich das, was ich mache. Seit ich am See bin, aber auch schon davor in meiner Zeit in Heiligenblut. Als ich vor knapp 10 Jahren an den Wörthersee kam, hatte ich mit SeeBnB (Hinweis: mittlerweile erfolgreich an keyone verkauft) begonnen. Das war neu. Das hatte davor niemand gemacht. Ich hab´ es angepackt. Die Idee alleine ist zu wenig. Es braucht die Umsetzung. Darum kann ich auch einiges dazu sagen, was es bedeutet, Ideen auf den Boden zu bringen.

Was braucht es für Kärnten?

Was hier in Kärnten fehlt ist der konstruktive Austausch. Eine Community der Vorwärtsdenker, wo man Pläne austauscht und sich gegenseitig Mut macht. Es gibt hier nirgends das „sich nach oben unterstützen“. Was machst du, was kann ich, wie kann ich dich dabei unterstützen? Das ist falsches Mindset. Wir müssen viel weniger nur uns selbst verwalten, sondern irgendwie auch darauf schauen, wie kann ich mich in einem Netzwerk einbringen? Wie kann ich mit dem, was ich habe oder was ich bin und was ich weiß, nützlich sein für die Gesellschaft, für das Gemeinsame und dann uns sozusagen nach oben weiterentwickeln?

Kennst du echte Vordenker in Kärnten?

Ich zitiere hier gerne Herwig Ertl, der immer so nett sagt: „Wenn wir nicht neidisch sind, haben wir alle genug.“ Und da geht es nicht nur darum, dass wir alle genug haben, sondern dass wir aneinander wachsen. Gerade im Tourismus. Und das lässt sich auch sehr gut auf das Mitarbeiterthema umlegen: Ich muss es als Unternehmer schaffen, auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass der Job, den sie machen, wichtig ist. Dass der Job wertvoll ist, man sich auf Augenhöhe begegnet und dass sie in diesem Job auch mit mir wachsen können. Mit dem Betrieb, mit den Kollegen. Dass sie Inspirationen haben. Weil dann würde es ihnen egal sein, ob sie 48 oder 54 Stunden in der Woche arbeiten, wenn ich weiß, wofür ich das mache. Das heißt jetzt nicht, dass diese Bereitschaft ausgenützt werden darf. Das meine ich nicht. Wenn ich sie brauche, dann sind sie da. Und das ist ein Beziehungsthema. Das ist kein Betriebsvereinbarungsthema.

Wie kann diese Beziehung funktionieren?

Wenn ich zu meinem Mitarbeiter sagen kann, „morgen hast du frei, aber heute brauche ich dich bis zwei Uhr in der Früh. Und ich weiß, dass du zu wenig Schlaf kriegst, aber ich brauche dich, weil heute habe ich eine Hochzeit.“ Und wenn er dann sagt, kein Problem, ich bin da! Dann wissen beide, dass hier was richtig gemacht wurde. Dass ich ihn dafür auch gerecht und fair ausgleiche ist selbstverständlich! Es geht um Beziehungsarbeit. Work-Life-Balance hin oder her. Es arbeiten im Tourismus Menschen mit Menschen. Und das funktioniert nur dauerhaft, wenn es auf einer guten Beziehung aufbaut!

Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Heide Pichler-Herritsch in 14 Tagen sprechen wir über Teamqualitäten und Inspirationsquellen für erfolgreiches Arbeiten im Kärntner Tourismus! Schon zum M.U.T.letter angemeldet, um nichts zu verpassen?

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