MUTAUSBRUCH: „Politik der radikalen Mitte“

So nannte der frühere – und in der Kärntner Neuzeit einzige – ÖVP-Landeshauptmann Christof Zernatto sein 1998 in Buchform erschienenes weltanschauliches Glaubensbekenntnis. Und nahm damit vor einem Vierteljahrhundert eine Positionierung bürgerlich-konservativer Politik vorweg, wie sie im Sommerloch 2023 um eine Aussage der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erneut ausgebrochen ist: Sie hatte Anfang Juli in einem Gastkommentar für den „Standard“ anlässlich des Genderns von einem „Empörungspingpong“ geschrieben und die – recht plausible – Vermutung angestellt, dass die „normal denkende Mehrheit der Mitte“ sich immer weniger gehört fühle.

Normal empört

Die Detonationswelle war erstaunlich. Grünen-Chef Werner Kogler, immerhin Regierungspartner der ÖVP, nannte die Aussage „präfaschistoid“. Bundespräsident Alexander Van der Bellen missbrauchte die Eröffnung der Bregenzer Festspiele zu einem parteipolitischen Ausritt und stellte moralisch zutiefst beunruhigt die Frage in den Raum, wer denn nun bestimme, „wer normal ist und wer nicht“. Ein besonders haltungskorrekter Journalist schrieb „Was ist bitte schon normal?“, als wäre die Vorstellung eines gesellschaftlichen Gravitationszentrums per se schon absurd.

Der Schwanz, der mit dem Hund wedelt

Geradezu tragikomisch mutet die Panik an, die im linken politischen Spektrum angesichts der Erwähnung von Normalität ausgebrochen ist. Tragisch, weil die Debatte die fortgeschrittene gesellschaftliche Orientierungslosigkeit aufzeigt, in die uns die mediale und politische Propaganda mittlerweile geführt hat: Fehlt das Sensorium für eben diese Normalität, treiben wir ohne Kompass in schwerer See. Und komisch deshalb, weil die Aufregung der beste Beweis dafür ist, dass man sich ertappt fühlt: Seit vielen Jahren ist den gesellschaftlichen Dekonstrukteuren keine Randerscheinung zu unerheblich, kein Einzelschicksal zu individuell, keine Befindlichkeit einer Minderheit zu minder, um unter dem Deckmantel der „Gerechtigkeit!“ nicht zum gesellschaftlichen Mainstream hochgejazzt zu werden. Anders gesagt: Den progressiven Eliten in Politik und Medien ist kein Schwanz zu kurz, um nicht heftig mit dem Hund zu wedeln.

Gedankenverbrechen

Mit Verwirrung, Verunsicherung und Verängstigung versuchen linke Sozialingenieure seit langem, die mehrheitlich bürgerliche Gesellschaft aufzubrechen, zu spalten, zu zertrümmern, was über Generationen gewachsen ist, und mit den Bruchstücken die eigene parteipolitische Machtposition auszubauen. Die aktuelle Klassenkampf-Diskussion um die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer ist ein gutes Beispiel dafür, oder die verführerische Lüge von der „Work-Life-Balance“ und die 32-Stunden-Woche. Mikl-Leitners Rückbesinnung auf die „normal denkenden Menschen“ passt da gar nicht ins Konzept, wenn man gerade dabei ist, ein neues Normal zu erschaffen. Eines, in dem Drag Queens Schulbesuche machen und man sich jedes Jahr das Geschlecht selbst aussuchen kann. Denn es reicht nicht, dass im gesetzlichen Rahmen ohnehin jeder/jede/jedes tun und lassen kann, was er/sie/es will; nein, es muss auch noch „normal“ sein. Abnormal und daher auszustoßen ist nur, wer widerspricht, denn der ist ein Spalter. Nicht ohne Grund erinnert diese Umdeutung der Realität an die Parteiparolen, die in George Orwells „1984“ am „Ministerium für Wahrheit“ prangen: Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!

Macht der Mitte

Je verbissener Links und Rechts an den Rändern von Gesellschaft und Demokratie zerren, umso wichtiger wird die Mitte. Wie Christof Zernatto schon vor 25 Jahren erkannte, muss sie aber auch ausgeprägt, sichtbar, ja radikal sein, um den Zentrifugalkräften Stand zu halten. Diese Position der Mitte hat auch die ehemalige Sprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und heutige Beraterin Heidi Glück kürzlich in einem viel beachteten Kommentar in der „Presse“ herausgearbeitet. Und nein, die Normalität der Mitte ist nicht langweilig und konturenlos, sondern ein sicherer Hafen, wenn ringsum der Sturm der Extremisten tobt.

Foto: Didi Wajand

M.U.T.letter

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