Lagom im Reich der Mitte: Der neue Polestar 2 im Autotest

Junge Schweden haben mit Shaolin-Mönchen eine elektrische Fahrmaschine gebaut, die sich als gelungener Culture Clash erweist.

Über E-Autos ist fast alles Erdenkliche bereits gesagt und geschrieben worden. Sie haben ihre Fans und Hater, und viele junge Menschen sehen in einem eigenen Auto keinen heiß begehrten Freifahrtschein ins Erwachsenenleben mehr, sondern eine emotionsbefreite, kostspielige Transportmöglichkeit von A nach B. PhilosophInnen – akademisch gebildeten oder selbsternannten, im Elfenbeinturm oder am Stammtisch – wird es überlassen bleiben, das Verblassen des Zaubers zu ergründen, der mit dem Wandel vom Analogen zum Digitalen scheints schicksalhaft verbunden ist.

Noten ist nichts verboten

So berichten MusikliebhaberInnen noch heute vom blanken Entsetzen, das die ersten seelenlosen Klassik-Aufnahmen auf CD Anfang der Achtziger bei ihnen auslösten. Seit einigen Jahren steigen die jährlichen Verkäufe von Vinyl-Schallplatten in 20-Prozent-Schritten, High-end-Plattenspieler erzielen Fantasiepreise. Aber: Das Musikgeschäft ist durch Streaming-Plattformen revolutioniert und insgesamt vervielfacht worden.

Tausend Bilder sagen mehr als eines

Auch der Fotografie ist mit dem Siegeszug des Digitalen die Magie der Alchemie abhandengekommen. Die geheimen Praktiken in Dunkelkammern (!), das bange Warten auf die „Abzüge“, der „Diaabend“ – alles dahingerafft von lichtempfindlichen Sensoren, die in unheiliger Allianz mit dem allgegenwärtigen Mobiltelefon das Foto und mittlerweile sogar das Bewegtbild – ebenso wie ihre einst bewunderten Erschaffer – zur überall und jederzeit verfügbaren Massenerscheinung degradiert haben. Aber: Allein auf Instagram werden mehr als 1000 Fotos pro Sekunde hochgeladen und vier Millionen pro Stunde geteilt. Die Demokratisierung der Fotografie hat den gefrorenen Moment aus dem privaten Fotoalbum im Schrank befreit und die Welt in einen endlosen bunten Bilderstrom aus Lebensdokumentationen verwandelt.

Früher war viel mehr Lamotor

Besonders schmerzlich wird die digitale Degeneration des analogen Affekts im Niedergang des Verbrennungsmotors spürbar. Mehr als hundert Jahre lang stand er für die Beherrschung des Feuers durch den Menschen, im Wesentlichen unter Zuhilfenahme eines Metallzylinders und eines darin beweglichen Kolbens mit dazugehöriger Kurbelwelle, wie sie unter anderen die Herren Otto, Daimler, Benz und Diesel konstruierten und die später zu Kunstwerken höchstentwickelten Maschinenbaus wurden. Dementsprechend konnte man Motorsport früher nicht nur hören und riechen, sondern er war – etwa in der Formel 1 der Dreiliter-V10-Ära – ein Ganzkörpererlebnis. Den geilsten Sound aller Zeiten soll übrigens ein BRM in den 50er-Jahren mit einem sehr offenen V16-Motor gehabt haben. Dagegen klingt die Formel E, als wäre einem der Nasenhaarentferner ins Klo gefallen.

Lagom im Reich der Mitte: Der neue Polestar 2 im Autotest

Polestar 2: Kunst der Kontemplation

Doch es war einmal, und es war einmal schön, sang Erika Pluhar schon Mitte der Siebziger. Nach all den Ausschweifungen und Auswüchsen geht es der modernen Welt um Stille. Sie ist auch der erste, prägende Eindruck im neuen Polestar 2, mehr noch: Kontemplation und Selbstbeschränkung auf das Maximum. Wer Platz nimmt im äußerlich gleichgebliebenen, im Inneren grundlegend erneuerten Zweier, tut gut daran, kurz innezuhalten, um die puristische Markenbotschaft zu verstehen: Reduktion in Formen und Oberflächen, Konzentration auf das Wesentliche in Sichtbarkeit und Bedienung, Perfektion in Technik und Fahrgefühl.

Stille im Reich der Mitte

Der Polarstern ist ein Meister in der Kunst der skandinavischen Zurückhaltung, die auf Ablenkung verzichtet, aber keineswegs auf Gestaltung, Gefühl, Materialwahl, Design. Kein aufgeregtes Gepiepse, keine aufdringliche Lichtshow, nicht einmal ein Startknopf: In die perfekt konturierten Sitze schlüpfen, die Bremse antippen, den Wählhebel kurz ziehen, und luxuriös lautlos beginnt die Reise. Alle Informationen und Einstellungsmöglichkeiten finden sich übersichtlich und gut bedienbar auf dem mittig angeordneten Touchscreen, der wie ein hochwertiges Tablet aufrecht und gerade am Armaturenbrett – was für ein antiquierter Ausdruck für dieses Designerstück – lehnt. Hinter seiner schwarzglänzenden Oberfläche werken Regimenter von digitalen Heinzelmännchen, die man mit einem tief integrierten Android Auto-System inklusive Sprachsteuerung kommandieren kann – zum Beispiel, um ein in knappen Einparksituationen äußerst nützliches Bewegtbild vom Polestar aus der Vogel-, pardon: heute eher Drohnenperspektive anzuzeigen.

Clean Machine

Die klassische Gewaltenteilung von Richtungsgebung an der Vorderachse und (mächtig) Vortrieb an der Hinterachse bringt eine beinah vergessene Präzision der dynamischen Fortbewegung zurück, eine entspannte, tiefempfundene Freude am Fahren. Dieses Auto ist „lagom“, ein Begriff aus der der schwedischen Heimat der Premium-E-Marke aus dem Hause Volvo. Er beschreibt eine Form der inneren Mitte, des richtigen Maßes, und stimmt in dieser Überzeugung mit der jahrtausendealten Weisheit der zweiten Hälfte des Polestar-Genoms, China, überein.

Lagom im Reich der Mitte: Der neue Polestar 2 im Autotest

Junger Schwede mit eingebautem Shaolin

Zum schnörkellosen Auftritt außen und innen passt perfekt der One-Pedal-Mode: Beschleunigen und Bremsen mit dem rechten Fuß only. Wer das Elektroauto artgerecht bewegt, wird das Bremspedal selten benötigen. Dieser im Ursprung elektrotypischen vorausschauenden Fahrweise läuft allerdings eine andere Eigenschaft des neuen Polestar 2 zuwider: Wer den jungen Schweden reizt, bekommt es mit einem ausgewachsenen Shaolin-Mönch zu tun, denn der neue Single-E-Motor schiebt die schlanke Schräghecklimousine mit 220 kW/299 PS in nur 6,2 auf 100, Schluss ist erst bei satten 205 km/h. Für verlängerten Fahrspaß auf der Landstraße sorgt ein größerer Akkusatz mit 79 kWh netto, was rechnerisch bei einem angegebenen Durchschnittsverbrauch von 17,5 kWh eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern ergibt. Im aktuellen Wintertest (Heizung, Lüftung, Licht etc.) waren es eher 20 kWh.

Neuer Polestar Space Graz in der AREA Süd

In Verbindung mit höheren Ladeströmen bzw. kürzeren Ladezeiten dürfte damit eine der größten Sorgen von E-FahrerInnen endgültig der Vergangenheit angehören: Das Testauto wurde fachgerecht von Wien nach Klagenfurt überstellt und hatte bei der Ankunft noch eine respektable Restreichweite von 25 Prozent. Künftig will Polestar seinen KundInnen im Süden Österreichs, der kommenden AREA Süd, die Entscheidung noch leichter machen: Am Donnerstag, 29. Februar 2024, eröffnet die Marke den Polestar Space Graz in der Waagner-Biro-Straße 106a zum Kennenlernen und Probefahren.

Meine Bewertung

Meine Bewertung

Business und Geld  ★★★★

Feeling und Emotion   ★★★★★

Familie und Alltag   ★★★

Spaß und Fahrfreude   ★★★★★

Check-In

Lagom im Reich der Mitte: Der neue Polestar 2 im AutotestPolestar 2 Long Range Single Motor, Scandic-Style mit Volvo-Genen und Shaolin-Charakter. Das Testauto in der Farbe Thunder, 220kW/299 PS, Hinterradantrieb. Zwanzigzoll-Leichtmetallfelgen, tierschutzgerechtes Nappaleder, mit Pilot- und Plus-Paket sowie Android Auto wurde zur Verfügung gestellt von Polestar Österreich und kostet aktuell € 67.590.

Den wie immer penibelsten Autotest mit wirklich allen Zahlen, Daten, Fakten gibt es unter https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/autokatalog/marken-modelle/polestar/polestar-2/

Fotos: Peter Schöndorfer, Polestar

M.U.T.letter

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