Von Frankfurt nach Klagenfurt: Was Online-Antiquar Dirk Bentlin an Kärnten liebt

Dirk Max Bentlin, ein etablierter Antiquar und Buchhändler, erzählt nach 40 Jahren Medientätigkeit von seinem bewegten Leben und der Reise, die ihn aus dem geschäftigen Frankfurt ins idyllische Klagenfurt führte. Ausschlaggebend für diesen Schritt war nicht nur die Liebe zu seiner Frau, sondern auch die Faszination für die ruhigere und inspirierende Atmosphäre Kärntens.

Was hat Sie bewogen, ausgerechnet nach Klagenfurt umzusiedeln?

Maßgeblich die Liebe zu meiner kroatischen Frau Marica, die Nähe zu ihrer Heimat und anderen mediterranen Nachbarländern. Besonders angezogen hier in Kärnten hat mich Klagenfurt am Wörthersee , eine schöne Stadt mit wunderbarem Umland. Die Menschendichte im hessischen Frankfurter Raum ist etwa um das Fünffache höher als hier; alleine damit ist schon vieles erklärt!

Wie erleben Sie die Österreicher als solche oder welche Unterschiede fallen Ihnen auf?

Es ist der Abstand, der manche objektivere Beurteilung oder Relation erleichtert. Anders als viele meiner Landsleute erlebe ich die meisten Österreicher freundlicher und gelassener. Wobei es natürlich auch hierzulande regionale Mentalitäts-Gefälle gibt. Dem gegenüber empfinde ich die gerne kultivierte Lässigkeit des hier geläufigen „lei lafn lossn“ als fatale Eigenschaft, eben in eine Agonie gegenüber politischen Ereignissen zu fallen – etwa nach dem Motto „Interessiert mich nicht, weil ich nichts ändern kann“.

Was zum Beispiel tun Sie selber, um politisch etwas zu bewegen?

Jeder kann in seinem Umkreis etwas bewirken, so wie man ein Steinchen in einen See wirft und dieses Wellen erzeugt. Auch das, was wir hier und heute bereden, das erzeugt kleine Wellen. Wir alle erleben die letzten Jahre eine zunehmende Verdrossenheit gegen die Entwicklung in Europa bei einer gleichzeitig wachsenden Polarisierung gegen kritische Meinungen. Dagegen können ausgewogene und sachlich kompetente Beiträge helfen. So betätige ich mich nicht nur im urbanen Bereich oder auf dem lokalen Markt, sondern als unabhängiger und investigativer Blogger auch im Internet und äußere mich kritisch zu systemrelevanten und wirtschaftspolitischen Themen, vor denen wir die Augen nicht verschließen sollten. Nicht alles war früher besser, aber doch einiges. Schauen wir zum Beispiel nur die urbane Vielfalt in den Städten noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Das ist ein sehr tiefes Fass! Hingegen, wie ist es denn heuer um die allgemeine Stimmung im Handel, bei vielen Gastrobetrieben und nicht zuletzt bei den Landwirten bestellt? Auch hier öffnet sich sie soziale Schere immer mehr, und statt Scheuklappen sollten wir mehr offene Dialoge führen und konstruktive Ideen fördern.

Als ausgebildeter Ökonom sind Sie schon seit ca. 40 Jahren in Medien tätig. 1989 haben Sie in der südhessischen Kulturmetropole Darmstadt eine City-Buchhandlung und Galerie mit ausgefallen Bildbänden, Kunstdrucken und Objekten quasi aus dem Nichts aufgebaut und damit vom selbstständigen Sortimenter zum Online-Antiquar bis heute überlebt. Wie schafft man das?

Man muss ausdauernd und etwas verrückt sein, um einer solchen Berufung zu folgen. Mit meinem unkonventionellen Sortiment für Illustriertes und Illustres galt ich eher als enfant terrible oder untypisch in einer weithin bürgerlich sortieren Buchhandels-Landschaft. In den 1990er Jahren steuerte ich damit als Paradiesvogel genau in eine barocke Ära und hatte mir mit Ausstellungen von meisterlichen Illustratoren wie Will Eisner, F.K. Waechter, Peter Gaymann, Horst Haitzinger und anderen schon bald einen überregionalen Namen bei den Kreativen gemacht. Ich erinnere mich noch als Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre die Buchmesse in Frankfurt am Main aus allen Nähten platzte mit Vielfalt. Da wurde auch in Buch und Kunst als auch im Comic-Bereich am ganz großen Rad gedreht.

In dieser Zeit habe ich mich mit wenig Geld ins Auto gesetzt und bei Verlagen, in den Großhandelslagern und bei Händlern nach Schätzen gesucht. Gereist bin ich bis nach Frankreich und Belgien und zurück, das Auto vollbeladen mit Raritäten, wo Sammler aus dem weiten Umfeld zu meinem lokalen Shop pilgerten, um ausgefallene und seltene Kuriositäten zu entdecken. Zudem habe ich viele internationale und bislang auch unentdeckte Künstler aufgespürt, Illustratoren ins Geschehen gerückt, Protagonisten gefördert und Titel von Ihnen ausgestellt oder sogar Mitte der 1990er Jahre eine ICON-Comic-Taschenkalender mit einem außergewöhnlichen Datenarchiv erstellt sowie Interviews u.a. auch mit dem Kultur-Professor Bazon Brock, um damit Comic-Art und besonders die Grafik-Novelle als neue Kunstrichtung zu fördern.

Gleichzeitig war ich auf technischem Wege schon sehr früh innovativ. Bereits 1986 hatte ich noch als Versandhändler meinen ersten IBM-PC selber programmiert und 1998 als einer der ersten Buchhändler eine eigene aktive Webseite Art-Books am Laufen. Heute verkaufe ich ähnlich wie die alten Bouquinisten am Pariser Seine-Ufer meinen exquisiten Restbestand, das allerdings international online und hoffe für mein Konzept einen würdigen Nachfolger zu finden.

Wie hat das Internet Sie beruflich geprägt?

Seit dem neuen Jahrtausend hat sich die ganze Medienlandschaft um 180 Grad verändert, und wir sehen heute eine Entwicklung, die auch den Handel weithin radikal verändert. Noch Ende des letzten Jahrhunderts hat einer meiner Großhändler orakelt „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Du jemals ein Buch über das Internet verkaufst“. Zu Anfang dieses Jahrhunderts brach dann der große Boom über die Online-Märkte los, mit allem Ungemach. Vor 20 Jahren habe ich mich gegen den massiven Preisverfall in einem weitgehend noch unkontrollierten Internetmarkt erfolgreich gegen den unlauteren Wettbewerb durchgesetzt.

Wie kam es dazu?

Vor dem OLG Frankfurt wurde 2004 in einem wegweisenden Prozess – auch von der Handelskammer unterstützt – gegen einen privaten ebay-Händler daraufhin die Preisbindung im Internet-Buchhandel durchgesetzt. Dieser juristische Alleingang wurde international in den Medien als auch vom Buchhandel und dem Kulturrat in Berlin gewürdigt. Das hat mir zwar etwas Ruhm, aber nicht unbedingt den gewünschten Erfolg gebracht, weil in den folgenden Jahren sich der ganze Markt verändert hat.

Wie haben Sie den Wandel erlebt?

Viele Verlage und Einzelhändler aus der Endzeit des letzten Jahrhunderts gibt es heute nicht mehr oder viele Strukturen haben sich völlig verändert, ebenso das kreative Potential des Marktes und viele Betrachtungsweisen. Besonders in dem Beruf als Kunstbuchhändler bewegt man sich auf einem spannend interessanten, aber doch schmalen Grat. Man muss bei dem schnelllebigen Wandel im Handel sehr flexibel sein und sich dem Markt rasch anpassen. Meine eigen generierte Webseite mit Shopsystem, noch im Jahr 2000 von Hessen-ecommerce gefördert, habe ich 10 Jahre später aufgegeben und diese Aktivität völlig zu ebay verlagert; habe also lieber „den Tiger geritten“ als mit ihm zu kämpfen. Heute versende in diesem international größten Sammlermarkt als einer der ältesten online-Antiquare meine „raren Objekte der Begierde“ unter dem Label Art-Books. Die meisten Bestellungen gehen nach Deutschland, Resteuropa und auch viel in die USA.

Wie haben Sie als Unternehmer überlebt?

Weiterhin jedoch werden über Großmärkte, Discounter und EU-rechtliche Auflagen und Verschärfungen immer mehr kleinere Anbieter auch online vom Markt verdrängt, zugunsten von Discountern und Ramschern. Dass ich damit bis heute als einer der letzten Sortimenter auch im Antiquariat überlebt habe, das habe ich primär meiner Spezialisierung und Liebe zur Profession zu verdanken. Man kann nur hoffen, dass es zukünftig eine Renaissance für besondere Nischenmärkte gibt, die weder unisono noch über KI bedient werden.

Wie beurteilen Sie die ganze digitale Entwicklung – jetzt auch KI?

Natürlich setzt die Digitalisierung nicht nur neue Lichter, sondern auch tiefe Schatten. Wir erleben heute, dass immer mehr Menschen schon früh am Netz hängen, so abhängig wie an einer Nadel! Und genau das ist es, was die berechtigte Sorge an der totalen Kontrolle und Manipulation nährt. Auch die KI als künstliche Intelligenz ist nur so „intelligent“, wie man sie füttert und Algorithmen zulässt. Wer garantiert uns die Kontrolle darüber, WER dieses Ding WOMIT füttert – und dass uns diese „Besen“ (nach Goethes „Zauberlehrling“) nicht irgendwann ganz böse einholen? KI kann man sicher intelligent und nützlich anwenden, dennoch müssen wir damit wachsam sein.

Erst kürzlich wurden Sie 70. Was wünschen Sie sich für dieses runde Geburtsjahr?

Neben mehr Frieden und Gesundheit auf diesem Planeten wünsche ich mir ganz besonders ein mehr an Gemeinsinn, über den sich Menschen öffentlich mehr einbringen. Diese Chance haben wir alle! Das geht recht einfach im freundlichen Umgang miteinander auf allen Ebenen. Mehr Dialoge ohne Arroganz oder Vorurteile. Dabei können die Jüngeren die Chance nutzen, von den Erfahrungen und dem Wissen der Älteren zu profitieren. Gemäß der Neujahresansprache unseres Bundespräsidenten Alexander van der Bellen „mehr das Miteinander“ zu pflegen, halte ich es auch mit dieser liberalen Grundidee für gesellschaftliche Lösungen.

Danke für das interessante Gespräch, weiterhin alles Gute und viel Erfolg.

Dirk M. Bentlin

Art & Books

9020 Klagenfurt

www.bentlin.eu

M.U.T.iger

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