„Sonst ist unsere Gesellschaft in Gefahr“

Welt im Wertewandel: Unternehmer und Wirtschaftsvertreter Jürgen Mandl spricht mit M.U.T. über die Pandemie der Wohlstandsverwahrlosung, das Wunder Marktwirtschaft und die Wiedergeburt des Leistungsdenkens.

Herr Mandl, die Stimmung vieler Unternehmerinnen und Unternehmer ist im Keller, die Wirtschaftsdaten auch. Täglich sind die Medien voll mit schlechten Nachrichten, das Klima kippt, der dritte Weltkrieg droht und im begonnenen Superwahljahr in Österreich driften immer mehr Unzufriedene zu den Rändern nach links und rechts ab. Steht es wirklich so schlimm?

Bei weitem nicht. Ich bin überzeugt, wir leben bei objektiver Betrachtung in der besten aller Welten. Noch nie sind so wenige Kinder verhungert, noch nie gab es so wenig Arme oder Opfer von Naturkatastrophen. Noch nie waren die Bildung, die Lebenserwartung und der Wohlstand global so hoch wie heute. Was dieses Wunder innerhalb von nur rund 100 Jahren vollbracht hat, nennt man Marktwirtschaft, manche sagen Kapitalismus dazu. Weil wir Verantwortung für unsere Nächsten übernehmen wollen, wurde daraus die soziale Marktwirtschaft. Und aus Respekt vor Natur und Umwelt sprechen wir seit langem von der „ökosozialen Marktwirtschaft“. Das ist eine Errungenschaft, deren Tragweite heute gerne – und oft absichtlich – unterschätzt wird.

Mit Verlaub, das ist ein Konzept des damaligen ÖVP-Obmannes Josef Riegler aus den späten achtziger Jahren. Hat das in der globalisierten Welt von heute noch eine Bedeutung?

Das ist ein jahrzehntelanges Erfolgsmodell für die ganze Welt, wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen. Dass Europa in den vergangenen 70 Jahren diese Erfolgsgeschichte mitgeschrieben hat, dass unsere Eltern und Großeltern und mittlerweile auch wir selbst es geschafft haben, mit zum Teil wirklich harter Arbeit einen der erfolgreichsten – und reichsten – Wirtschaftsstandorte der Welt aufzubauen, könnte uns durchaus ein bisschen stolz machen. Und nicht jeden Tag in Selbstzweifel stürzen, wie das manche Kreise gerne sehen.

Aber wenn ich heute die Zeitungen lese oder den Fernseher einschalte, habe ich einen ganz anderen Eindruck: Der menschgemachte Klimawandel stürzt uns in den Untergang, die Gesellschaften zerfallen. Und schuld an allem ist der Kapitalismus.

Das fällt mir in dieser Form der ökonomischen Selbstzerstörung nur in Europa auf. In anderen Teilen der Welt hat man noch nicht vergessen, dass Geld zuerst verdient werden muss, bevor man es ausgeben kann. Das ist ein eisernes Gesetz, das übrigens auch gilt, wenn man das Geld für Umwelt- und Klimaschutz ausgeben will. Und das will ich durchaus, denn ich sehe in der Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch eine große Chance, echte Fortschritte zu machen. Nur muss man Schritte eben in die richtige Richtung und in der richtigen Reihenfolge machen, sonst stolpert man – und das kann wehtun.

Was meinen Sie mit stolpern?

Mein Eindruck ist, dass ein Teil von Politik und Medien diese Krisen herbeiredet. Zum Teil aus Überzeugung, zum Teil als Geschäftsmodell, auch als politisches. Mit Sicherheit haben wir in den vergangenen Jahrzehnten des wirtschaftlichen Wachstums zu wenig auf die Umwelt geachtet. Wir haben aber auch in dieser Zeit, und das wird gerne ausgeblendet, dazugelernt und Probleme gelöst, und zwar nicht dadurch, dass wir uns auf die Straßen geklebt haben. Nein, wir haben geforscht, wir haben entwickelt, und wir haben technologische Lösungen gefunden. Um das Ozonloch zu schließen, haben wir Alternativen gefunden und die ozonschädigenden Substanzen wie FCKW weltweit aus dem Verkehr gezogen. Um den sauren Regen abzustellen, der die Wälder bedroht hat, haben wir den Schwefel aus dem Benzin verbannt und in alle Autos Katalysatoren eingebaut. Und auch den Klimawandel müssen wir mit technologischem Fortschritt bekämpfen, nicht mit pseudoreligiösem Rückschrittseifer.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist die eine große Veränderungserzählung unserer Zeit. Die Neudefinition von Arbeit ist die andere. Wie stehen Sie dazu?

Noch mehr als die allgegenwärtige Krisenstimmung stört mich, dass man manchmal den Eindruck hat, wir hätten als Gesellschaft das Arbeiten verlernt. Das beginnt schon bei meinem Lieblingsbegriff, der „Work-Life-Balance“. Dieses „Framing“ will uns ganz lässig einreden, dass Arbeit und Leben zwei grundverschiedene Dinge sind, die man in ein ausgewogenes Verhältnis bringen muss. Anstatt die Arbeit als wichtigen Teil des Lebens zu sehen, der nicht nur die Grundlage einer selbstständigen Existenz ist, sondern ganz oft auch Sinn und Selbstbestätigung. Aber in Österreich diskutieren gewisse politische Kreise seit Monaten lieber über eine 32-Stunden-Woche, selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich. Wobei das Thema mittlerweile auch bei den Menschen angekommen ist: Wir merken das allem bei jenen, die sich beim Vorstellungsgespräch nicht mehr wirklich für den künftigen Aufgabenbereich oder die Aufstiegschancen interessieren, sondern für Homeoffice, Vier-Tage-Woche und das erste Sabbatical.

Höre ich aus Ihren Worten Skepsis?

Das können Sie so sagen, ich bin da ganz anders gestrickt. Wenn wir in Österreich und in Kärnten stolz darauf sein können, dass es uns recht gut geht, dann habe ich – zuerst von meinen Eltern, dann selber – im Leben gelernt, dass es die Leistungsbereitschaft ist, die die Basis dieses Wohlstands und einer funktionierenden sozialen Absicherung ist. Das betrifft ja nicht nur Unternehmer, sondern jeden halbwegs erwachsenen Menschen. Deshalb bin ich überzeugt davon: Leistungsbereitschaft muss in unserer Gesellschaft wieder selbstverständlich werden, oder anders herum: Diesen Irrglauben oder dieses Anspruchsdenken, dass irgendjemand anderer, meistens „der Staat“, für mich und mein Fortkommen zuständig ist, müssen wir schnellstens überwinden, sonst sehe ich uns als Gesellschaft wirklich in Gefahr.

Haben Sie da Beispiele?

Leider viel zu viele. Diese Pandemie der Wohlstandsverwahrlosung beginnt in der Schule, wo es keine Noten mehr geben soll, damit niemand demotiviert wird. Und das geht dann weiter zu den Sportvereinen, wo es bei der deutschen Fußballjugend keine Torstatistiken mehr gibt, damit sich keiner schlecht fühlt, wenn er einen Topfen zusammengespielt hat. Später kommen sie dann irgendwann ins Berufsleben und sollen sich bewähren gegenüber Asiaten und US-Amerikanern, die ihr ganzes Leben lang gelernt haben, was Wettbewerb ist? Na, da werden wir uns schön wundern. Mir fällt da immer der sonst glücklose frühere SPÖ-Kanzler und heute recht bekannte Immobilienexperte Gusenbauer ein, der vor zwanzig Jahren von der „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“ geschwärmt hat – kurz bevor ihn seine Genossen abmontiert haben. Ich kann mich mit diesem Begriff schon anfreunden.

Aber ist es nicht auch der Staat selbst, der der eigenen Bevölkerung Themen wie Leistung und Einsatzfreude ausgetrieben hat?

Natürlich spielt das eine starke Rolle. Denken Sie zum Beispiel an den Arbeitskräftemangel: Seit langem warnen wir davor, dass mit dieser Teilzeitmentalität kein Vollzeitstaat zu machen ist. Und was ist Fakt? Wer von 20 auf 40 Wochenstunden aufstockt, arbeitet um 100 Prozent mehr – und bekommt dafür in Österreich nur 72 Prozent mehr Nettoeinkommen. Anstatt Leistungsanreize zu bieten, hält unser Steuersystem die Menschen vom Arbeiten ab. Das muss sich ändern, Leistung muss sich wieder lohnen!

Die Wirtschaft fordert schon lange Entlastungen bei Überstunden und für Pensionisten – allerdings ohne Erfolg.

Ja, natürlich gilt das auch für die Besteuerung von Überstunden oder für Pensionisten, die viel lieber ihre enorme Erfahrung an Jüngere weitergeben würden und sich was dazuverdienen wollen. Knapp 30 Prozent machen bei uns die Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt aus, das ist der dritthöchste Anteil aller OECD-Länder. Aber in Österreich arbeitet halt nur mehr ein Drittel der 60- bis 65-Jährigen, in Deutschland sind es 60 Prozent. Wir brauchen also treffsichere soziale Unterstützung für jene, die es dringend brauchen – aber auch Anreize für alle, die mehr tun wollen!

Müsste ein solches „Reset“ in Sachen Leistung nicht schon in der Schule beginnen?

Mit vergleichsweise hohen Kosten schafft unser Bildungssystem leider bestenfalls durchschnittliche Ergebnisse, das bestätigen alle Studien. Wir brauchen also bessere Kindergärten, die dann offen sind, wenn ihre berufstätigen Eltern sie benötigen. Wir brauchen entrümpelte Lehrpläne und motivierte, bestqualifizierte Lehrinnen und Lehrer an Schulen, an denen der Direktor bzw. die Direktorin das Sagen hat und nicht die Bildungsdirektion. Denn Selbstständigkeit beginnt mit der Schultüte und nicht mit dem Gewerbeschein.

Apropos Gewerbe: Braucht es nicht nur mehr unternehmerisches Denken in Österreich, sondern auch mehr Unternehmer?

Viel mehr Unternehmerinnen und Unternehmer, und deutlich weniger Unterlasser. Man braucht dafür hierzulande allerdings eine masochistische Ader, denn in der Bürokratie liegt Österreich in einem weltweiten Vergleich auf dem traurigen 56. Platz. Zur Verdeutlichung, was das heißt: Bei einem Betrieb mit zehn MitarbeiterInnen verursachen rund 50 Melde-, Kontroll- und Dokumentationspflichten fast 1000 Stunden Arbeit und kosten rund 70.000 Euro im Jahr. Damit muss Schluss sein, Schluss mit Schikanen! Denn Unternehmer sein ist kein Beruf, sondern eine Lebenseinstellung. Und die muss man die Menschen auch ausleben lassen, damit Unternehmer sein wieder Freude macht.

Foto: Alexander Zagorz

M.U.T.letter

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