Neue Ideen für den Handel im Wandel

Obwohl viele Verbraucher in der Pandemie dankbar Online-Angebote des Handels nutzten, geriet die digitale Welt mit dem erneuten Öffnen der Ladentüren wieder schnell in den Hintergrund. Was braucht es also für Kärntner Betriebe, um auf der Web-Welle zu surfen und nicht im globalen Internet-Meer unterzugehen?

Es ist nicht lange her, als im Lockdown Online-Shoppinglösungen für viele Menschen die einzige Einkaufsmöglichkeit war. Neue Webshops boomten und für den Handel wurden Multichannel- und Convenience-Angebote wie z.B. „Click & Collect“ ein Muss. Das Thema E-Commerce profitierte von der Corona-Krise. Der Anteil am Einzelhandel (ohne Lebensmitteleinzelhandel) beträgt mittlerweile 20 Prozent. Tendenz steigend, zumindest außerhalb von Kärnten …

Großer Verlierer war der stationäre Handel mit massiven Umsatzeinbußen. Diese konnten bis heute nicht aufgeholt werden. Zeitweilig war der Lebensmitteleinzelhandel der einzige Bereich des Handels, der im Normalbetrieb arbeiten konnte. Für alle anderen Handelsunternehmen waren die temporären Ladenschließungen desaströs. In der Mode und Kosmetik etwa brachen die Umsätze um 30 Prozent ein. Eine traurige Entwicklung, die jüngst leider auch die älteste Parfumerie Kärntens in die Knie gezwungen hat.

Hohe Kosten drücken auf Margen und Kauflaune

Kaum hat sich der Handel einigermaßen von den Auswirkungen der Pandemie erholt, droht neues Ungemach: Die gestiegene Inflation drückt auf die Margen der Händler und ebenso auf die Kauflaune von Kunden. Jüngst veröffentlichte die Sparte Handel der Wirtschaftskammer Kärnten eine düstere Zukunftsprognose: Der Kärntner Einzelhandel ist für die Kärntner Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Er erzielte im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatz von rund 6,7 Milliarden Euro. Dennoch dominiert nach der Energiekrise die Teuerungskrise bis zum heutigen Tag. Auch der eklatante Arbeitskräftemangel macht der Branche schwer zu schaffen.

Die Stunde der Wahrheit

Der stationäre Handel in Kärnten hat eine Zukunftschance, wenn er sich neu erfindet und sich digitale Lösungen zunutze macht. Dabei geht es sowohl um die Digitalisierung von Prozessen und Lieferketten, sowie den Einsatz intelligenter Systeme, als auch um die konsequente Verbesserung von Einkaufserlebnissen am Point of Sale. Dies erfordert neues Denken, Investitionen und einen langen Atem. Aber es wird sich lohnen. Denn im Ländervergleich wurde Kärnten von anderen Bundesländern bereits abgehängt, wenngleich das Gesamtniveau auch österreichweit nicht berauschend ist, sind ja die digitalen Mitbewerbe vorwiegend Global Player.

Zum Einsatz kommen aber schon jetzt smarte Systeme zur Optimierung der Logistik, Lagerhaltung und Supply Chain, um Kapazitäten besser auszulasten und den Durchlauf zu erhöhen oder Lieferzeiten zu verkürzen. Und auch die Datenanalyse wird für den Handel zunehmend wichtiger: Mithilfe dynamischer Bepreisung (ähnlich wie an Tankstellen) lassen sich die Preise kurzfristig an die Nachfrage anpassen. Aufgrund der zahlreichen digitalen Convenience-Lösungen ist die Implementierung längst keine Raketenwissenschaft mehr. Initiativen wie z.B. die WKO-Onlinehelden setzen auf umfassende Beratung und Service.

Wie der stationäre Einzelhandel wiederbelebt werden kann

Aber auch die stationäre Einkaufslandschaft muss neu definiert werden. Dafür bedarf es Kreativität, Weitblick und Mut. Mit Big-Data-Anwendungen können Einkaufstrends und -verhalten analysiert und die Kundenansprache optimiert werden. Neben der Digitalisierung, die für den stationären Handel nur Sinn macht, wenn die öffentliche Hand ebenfalls ihren Beitrag leistet und mit städtebaulichen Maßnahmen, die teilweise vom Verfall bedrohten Innenstädte oder Stadtteile belebt.

Die 15-Minuten-Stadt von Stadtforscher Carlos Moreno
Ist die 15-Minuten-Stadt von Stadtforscher Carlos Moreno auch ein praktikables Konzept für Kärnten? Darüber nachzudenken würde sich lohnen.
Foto: Lorenzo Hernandez / picture alliance

Mit neuen Konzepten wie z.B. der „15-Minuten-Stadt“ können innerstädtische Zonen wieder attraktiver werden: In maximal fünfzehn Minuten erreichen Menschen alles, was sie zum Leben brauchen – Einkaufsläden, Gastronomie, Arztpraxen, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt formulierte Carlos Moreno von der Pariser Sorbonne-Universität erstmals 2016.

Sein Ziel damit war es, die Stadt an die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner anzupassen und so die Lebensqualität von Menschen auch in Ballungsräumen zu verbessern. Das erfordert einen offenen Diskurs, eine Strategie und ein Konzept in der Stadtplanung und Ortsentwicklung, eine gezielte Ansprache relevanter Mieter für Leerflächen und ein klares Bekenntnis zu neuen Mobilitätslösungen mit einem modernen Parkraumkonzept sowie autofreien Bereichen.

Hybriden Kunden abholen

Denn das Einkaufen im lokalen Geschäft spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Gefüge der Gesellschaft. Um erfolgreich zu sein, müssen Einzelhändler jetzt die Rolle ihrer Geschäfte neu definieren und vielfältigere sowie inspirierendere Einkaufserlebnisse schaffen, die den Wunsch nach menschlicher Interaktion widerspiegeln.

„Geschäfte müssen viel mehr tun, als nur Transaktionen durchzuführen! Sie müssen die Magie des Einkaufens zurückbringen und etwas Besonderes und Einzigartiges bieten“, rät Siobhán Géhin, Seniorpartnerin des Beratungsunternehmens Roland Berger in einer aktuellen Studie zur Zukunft des Shoppings.

Nur wer Kunden langfristig an seine Marke (seinen Betrieb) bindet und die hybride (off- und online) Kundenbeziehung pflegt, wird sich den wirtschaftlichen Erfolg sichern. Von der Sortimentskompetenz über den Preisvorteil, das Produktportfolio, die spezifischen Beratungs- und Serviceleistungen, die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, das Payment, die Lieferlogistik bis hin zum mitverkauften Erlebnis — die Dimensionen sind vielfältig.

Der stationäre Handel muss viel mehr werden. Nämlich ein Ort, an dem menschliche Erfahrungen auf eine Art und Weise zum Leben erweckt werden, die digital so nicht erlebt werden kann: sozial, sensorisch, mit Geschichten und echter Kompetenz. Der Handel befindet sich im Umbruch, kein Stein bleibt auf dem anderen. Unternehmen in der Branche müssen jetzt handeln, um auch in Zukunft relevant zu bleiben.

M.U.T.letter

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