Mehr Diskursbereitschaft der Wirtschaft und ein Umdenken der Gesellschaft verlangt WB-Landesobmann und WK-Präsident Mandl: Als Paradies der Teilzeitjobber werde Österreich seinen Wohlstand nicht halten können.
Herr Präsident Mandl, wie geht es der Wirtschaft?
Man kann im Rückblick auf die vergangenen Jahre wohl mit einiger Berechtigung behaupten, dass es schon einmal einfacher war, Unternehmer zu sein. Vor etwas mehr als drei Jahren haben uns erste Berichte von einem unbekannten Virus im fernen Osten erreicht, und wohl niemand hätte es für möglich gehalten, dass wir nur ein paar Wochen später im Lockdown sein würden, mit menschenleeren Städten, geschlossenen Betrieben und größten Schwierigkeiten, um überhaupt unsere Lieferketten aufrecht erhalten zu können. Fast 150 Millionen Euro hat allein die Wirtschaftskammer Kärnten aus Mitteln des Härtefallfonds für die heimischen Betriebe ausgezahlt.
Und kaum hatten wir uns von diesem Schock halbwegs erholt, ist Russland im Feber 2022 in die Ukraine einmarschiert, was uns eine Welle von EU-Sanktionen und die höchsten Energiepreise aller Zeiten beschert hat. Bis heute machen uns die Rekordinflation und die damit verbundenen steigenden Zinsen das Unternehmerleben schwer.
Das klingt nicht sehr zuversichtlich.
Doch, das bin ich durchaus, denn trotz all dieser Herausforderungen läuft die Wirtschaft nach wie vor so gut, dass wir mit der Erledigung unserer Aufträge in vielen Bereichen nicht hinterherkommen. Das liegt aber leider auch daran, dass wir gar nicht genug und nicht genug qualifizierte Mitarbeiter finden. Und zwar nicht, weil wir so schlechte Arbeitgeber wären, so knausrig und ausbeuterisch, wie man uns gerne nachsagt. Sondern deshalb, weil einerseits die Bevölkerungsentwicklung dazu führt, dass mehr Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, als nachkommen. Und weil jene, die nachrücken, eine andere Arbeitseinstellung haben.
Woran machen Sie diesen Wandel fest?
Das erkennt man gut am Modebegriff der „Work-Life-Balance“, mein Lieblingswort derzeit: Als gäbe es ein schreckliches Spannungsfeld zwischen Arbeit und Leben, oder noch schlimmer: Arbeit und Leben, das wären unvereinbare Gegensätze. Dabei ist diese Behauptung schwerer Unfug: Arbeit ist ein Teil des Lebens, noch dazu ein sehr wichtiger. Erwerbsarbeit – ob selbstständig oder als Mitarbeiter – gibt uns eine Aufgabe, oft eine Bestimmung, jedenfalls ein Einkommen; Familienarbeit ist entscheidend für das gemeinsame Glück, das viele Menschen anstreben; und Freiwilligenarbeit steigert die Lebensfreude und hält unsere Gesellschaft zusammen. Arbeit ist also nicht das Gegenteil von Leben, sondern das ist Leben, wie wir es verstehen!
Diese Jugendkritik liest man derzeit häufig.
Lassen Sie mich das noch ein wenig vertiefen, weil es mir wichtig ist und ein gutes Beispiel dafür, was meines Erachtens schiefläuft nicht nur in Österreich, sondern vielleicht sogar in Europa: Schon vor mehr als 20 Jahren hat sich der damalige SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer zur Verwunderung vieler für die Schaffung einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“ ausgesprochen. Hochleistungen seien nötig für ein entsprechendes Produktions- und Lohnniveau, Solidarität sei wichtig für jene, die dabei nicht mitkönnten. Seit damals hat jede Politikergeneration den Sozial- und Wohlfahrtsstaat immer weiter solidarisch ausgebaut und den unbequemeren Teil, die „Hochleistung“, geflissentlich übersehen.
Was sind die Folgen aus Ihrer Sicht?
Dass wir heute bei der Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen gelandet sind, zum Beispiel. 20 Stunden, drei Tage Arbeit pro Woche — auf diese Weise werden wir den Wohlstand, den wir uns alle in Österreich hart erarbeitet haben, nicht erhalten können. Dabei sind wir Leistungswilligen aber nicht ganz unschuldig: Wir haben uns angesichts dieser Tendenzen weggeduckt, aber es ist höchste Zeit, dass wir in diese Auseinandersetzung wieder einsteigen. Wenn wir über das Schlagwort Work-Life-Balance reden, dann müssen wir klarmachen: Zuerst kommt Work, dann kommt Balance! Wer nur 20 Stunden arbeiten will in der Woche, ist der nächste Notzuversorgende, weil die Pension nie und nimmer reichen wird!“
Sind Teilzeit-Jobber soziale Trittbrettfahrer?
Offenbar wollen immer mehr Menschen freiwillig nur halbtags arbeiten, aber ganztags öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen: In der Sozialversicherung, beim Bildungssystem und so weiter. Den Rest muss halt jemand anderer zahlen. Für immer mehr individuelle Lebenssituationen wird der Staat, wird die Allgemeinheit, werden wir alle in die Pflicht genommen. Gleichzeitig hat sich ein gesellschaftlicher Mainstream entwickelt, der das über Jahrzehnte äußerst erfolgreiche Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, dem wir einen enormen weltweiten Wohlstandszuwachs in den vergangenen Jahrzehnten verdanken, als verbrecherischen Kapitalismus brandmarkt, der nur dazu führt, dass sich einige auf Kosten vieler Menschen und vor allem des Klimas bereichern.
Ist das völlig falsch?
Damit Sie mich nicht missverstehen: Wo das so sein sollte, ist es selbstverständlich abzustellen. Aber dass heutzutage mit dem Begriff „Leistung“ automatisch eher die Zahlung durch eine öffentliche Einrichtung assoziiert wird und nicht der leidenschaftliche Einsatz für ein oft berufliches Ziel, das sollte uns zu denken geben. In der öffentlichen Debatte werden Leistungen bezogen, nicht erbracht: Der Leistungsbezieher steht im Mittelpunkt, der Leistungserbringer oder gar „Leistungsträger“ ist eine Randerscheinung.
Wie wirkt das für einen g’standenen Unternehmer?
Das ist ein Drama! Unternehmer, die von ihrer Geschäftsidee zutiefst überzeugt sind und vielleicht manchmal bis an die eigenen Grenzen daran arbeiten, sind aus dieser Sichtweise ein ebenso verkorkstes Auslaufmodell wie der engagierte Mitarbeiter oder die innovative Mitarbeiterin. Wer auf die Work-Life-Balance achtet, der hat kein Verständnis dafür, wenn es heute im Büro eben einmal später wird oder ein Auftrag diese Woche fertig werden muss.
Was würden Sie diesem Trend entgegensetzen?
Ich würde lieber über ein ganz anderes Begriffspaar reden. Wenn es einen Gegensatz gibt, den wir wieder ins Gleichgewicht bringen sollten, ist es die „Input-Output-Balance“, also ein gesundes Verhältnis von Einsatz zu Ergebnis. Früher nannte man das „Leistung muss sich wieder lohnen“, und damit meine ich die enorme Last von Steuern, Abgaben und Bürokratie, die übrigens nicht nur wir Unternehmer, sondern auch unsere Beschäftigten tragen müssen. Wenn wir schon den vollen Einsatz bringen, dann muss es sich auch lohnen, indem wir die nötigen Investitionen verdienen und unsere Mitarbeiter von ihren Löhnen und Gehältern anständig leben und sich etwas aufbauen können. Dann werden wir viel leichter auch eine andere Balance wiederfinden, nämlich die zwischen Auftrags- und Mitarbeiterstand. Denn nicht wir Unternehmer zahlen zu wenig, sondern der Staat knöpft unseren Leuten zu viel ab. So schaut’s aus, und ich warne jetzt schon vor den KV-Verhandlungen im heurigen Herbst, wo wir angesichts der hohen Inflation wieder um „faire“ Löhne mit der Gewerkschaft streiten werden und der Staat ordentlich mitverdient.
Wo sehen Sie aktuell die größten Problemfelder?
Wir sind ja in Österreich nicht nur bei den Arbeitskosten, sondern auch bei den Energiekosten ganz vorne dabei. Die Kapriolen der Strom- und Gaspreise betreffen ja nicht nur die stromintensive Industrie, sondern jeden Gewerbe-, Handwerks-, Handels- oder Tourismusbetrieb. Der Energiekostenzuschuss hat hier erste Hilfe geleistet, aber auf lange Sicht geht es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft. Wenn die Megawattstunde Gas in Europa doppelt so viel kostet wie in den USA, wird das Folgen haben.
Und in Kärnten?
Angesichts der Unsicherheiten und Abhängigkeiten bei der Energieversorgung wäre es natürlich umso wichtiger, wenn Kärnten die Energiewende entschlossen umsetzt. Wir sind bilanziell, also bei der Jahresenergieproduktion des Stroms, noch gut aufgestellt; im Winter aber können wir den Verbrauch nicht decken und müssen zukaufen. Diese Lücke gilt es nun rasch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energie zu schließen. Die Wirtschaftskammer hat daher ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, das die Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas zugunsten regionaler erneuerbarer Energiequellen in überschaubaren Zeiträumen massiv reduziert und gleichzeitig die heimische Wertschöpfung drastisch steigert.
Das klingt toll, wo ist das Problem?
Es geht zu wenig weiter: Viele Unternehmen verzweifeln, weil sie auf der einen Seite von den hohen Energiekosten aufgefressen werden, aber auf der anderen Seite ihre fixfertigen Alternativenergieprojekte nicht umsetzen können. Das Land hat eine Ewigkeit gebraucht, um eine „Taskforce erneuerbare Energie Projekte“ auf Schiene zu bringen, die Projekte schneller durch den Behördendschungel schleusen soll. Jetzt gilt es, Unternehmer bestmöglich bei der Einreichung zu unterstützen und Projekte umzusetzen. Denn wir brauchen dringend den gemeinsamen Kraftakt für Windkraft, für Photovoltaik, für die Effizienzsteigerung bei bestehender Wasserkraft. Das wird nicht ohne vereinfachte behördliche Abwicklung funktionieren. Wir müssen dramatisch Tempo aufnehmen, damit wir unsere gute Ausgangssituation nicht aufs Spiel setzen.
Wo sehen Sie die gute Ausgangssituation?
Das Zauberwort heißt „Wirtschaftsraum Südösterreich“, und dieser entsteht in den kommenden Jahren durch die Fertigstellung der Koralmbahn: Mit dem Koralmtunnel und dem damit verbundenen Streckenausbau wächst eine neue Metropolregion im Süden Österreichs zusammen mit beindruckenden Eckdaten: 1,8 Millionen Einwohner, rund 120.000 Unternehmen, auf die jeweils rund ein Fünftel der österreichischen Bruttowertschöpfung und der heimischen Exporte entfallen. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, eine „Area Süd“, verspricht höheres Wachstum, weniger Abwanderung, mehr Lebensqualität.
Foto: Helge Bauer