Das ATRIO in Villach kann man als Shopping-Flaggschiff im Zentralraum Kärntens bezeichnen. Und seit über 20 Jahren – vom ersten Tag an – steuert ein Kapitän dieses Schiff auch durch unruhige Gewässer. Für das M.U.T.-Magazin sprach Management Club-Vorstandsmitglied und Langzeit-Centermanager Richard Oswald über Erfolgsstrategien in einer sehr herausfordernden Zeit.
Der Handel schwächelt. Die Perspektiven sind mau. Was ist ein wirklicher Gratmesser für ein erfolgreiches Centermanagement?
Richard Oswald: Wenn man sich anschaut, wie Shopping-Center in Österreich aufgestellt sind, dann ist die größte Herausforderung die Vermietungsfrage. Wie schafft man es, ein Shoppingcenter, wo viel Geld drinnen steckt, bestmöglich zu vermieten und eine hohe Vermietungsrate zu erreichen? Ich bin jetzt seit über 30 Jahren im Handel tätig und habe die goldenen 90er Jahre miterlebt. Da hat man nichts falsch machen können, sondern nur machen müssen. Die Vermieter sind uns nachgelaufen. Es gab kurze Gespräche und wer von den „Supermietern“ als erster unterschrieben hat, bekam den Standort. Das war ein reiner Vermietermarkt.
Aber das hat sich im Laufe der 2000er, 2010er Jahre und vor allem seit der Pandemie zu einem Mietermarkt entwickelt. Und es zeigt, dass die guten Standorte, die von Anfang an ein Konzept hatten, sich jetzt leichter tun. Herz- und ideenlos hingebaute Einkaufstempel haben es deutlich schwerer. Ich bin stolz, dass wir im ATRIO eine 100%-Auslastung an Mietern haben. Nach wie vor. Denn eines ist klar, wo es kein vielfältiges Angebot und Sortiment gibt, kommen auch keine Kundinnen und Kunden.
Einer Studie ist zu entnehmen, dass es in Kärnten aktuell 23 Einkaufszentren gibt. Wenn man den Österreich-Vergleich anschaut, sind das verhältnismäßig viele? Zuviele?
Wir in der SES-Gruppe (SPAR European Shopping Centers GmbH) haben eine eigene Definition für Shoppingcenter und unterscheiden hier klar zu Einkaufszentren. Nach dieser Definition gibt es drei echte Shoppingcenter in Kärnten. Die anderen sind Fachmarktzentren und Fachmärkte. Fakt ist, dass Kärnten eine zu hohe Dichte an Verkaufs- und Handelsflächen hat. Ganz egal, ob das jetzt ein Shoppingcenter, ein Fachmarktcenter oder eine Fachmarktagglomeration bzw. Einkaufsstraße ist. Das tut keinem gut.
Das ATRIO war 2005 Vorreiter mit dem Alpen-Adria-/Senza-Confini-Thema. Lebt dieser Gedanke im Shoppingcenter immer noch oder ist es ein reines Marketingthema?
Wir haben damals an der Geschichte angeknüpft: In den 70er Jahren in Villach haben die Kunden noch beim Greissler eingekauft. Die Geschäfte hatten um die 50 Quadratmeter. Dann hat Konsum in Villach und später in Klagenfurt diese Coop-Märkte eröffnet. Mit 1.000 oder 1.500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Mit SB-Restaurant u.v.m. Wie in Amerika.
Und damit kamen viele Slowenen. Weil es dort nicht so viele Markenartikel gab. Sie hatten D-Mark und Schillinge, die sie als Gastarbeiter verdienten. Damit sind sie dann nach Klagenfurt und Villach gefahren und haben sich dort mit Kaffee, Schokolade und Markenartikeln eingedeckt. Ich erinnere mich, dass es in den Märkten 10 Kassen gab. Acht davon waren am Wochenende für slowenische Kunden reserviert. Da bist du als Einheimischer nicht einmal kassiert worden. In Villach waren viele Italiener. Die hatten zwar nicht das Problem, dass sie keine Markenartikel bekommen hätten, sind aber aus anderen Überlegungen gekommen. Die Großmärkte haben sie in Italien nicht gekannt. Und Speck, harte Würstel, Schwarzbrot und Villacher Bier… Dafür sind sie gekommen. Darauf haben wir das Konzept damals aufgesetzt.
Wir leben Senza Confini heute noch. Zum Beispiel in der Dreisprachigkeit durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einem mehrsprachigen Besucherservice und mit der ersten dreisprachigen Webseite. Wir hatten vom ersten Tag an eine dreisprachige Tafel an unserer Einfahrt: willkommen / benvenuti / dobro došli. Dieser offene Zugang zu Kundinnen und Kunden war auch immer mein Credo. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Shops ziehen dabei voll mit. Man stellt sich vor, dass man in einem Geschäft in Italien, in Slowenien oder irgendwo z.B. in Griechenland ein deutsches „Guten Tag“ hört.
Das schafft sofort Verbundenheit. Diese Verbundenheit haben wir kultiviert. Das sehe ich an den Auswertungen der Autokennzeichen auf den Parkdecks. Die gehen bis Triest, San Donà di Piave, also knapp vor Venedig oder auch bis Ljubljana. Das hat mir unsere Zentrale nie geglaubt. Wir sprechen von einem Einzugsgebiet mit potenziellen Kunden von über einer Million Menschen, die mit dem Auto zu uns kommen. Das geht auch aus unseren Kundenbefragungen hervor.
Dahingehend haben wir dann auch unsere Werbekampagnen an die Länder angepasst. Denn Italiener und Slowenen haben einen unterschiedlichen Geschmack in der Ansprache. Darum macht z.B. in Italien eine italienische Agentur die Bildauswahl. In Kürze starten auch wieder die Sprachkurse für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir fangen um sieben Uhr in der Früh an – zwei Schuleinheiten – bis halb neun. Um neun sperren sie dann die Geschäfte auf. Das Angebot wird sehr gut angenommen.
Wie nützt der einheimische Kunde das Angebot? Was macht bei den Kärntnerinnen und Kärntnern das Shoppingerlebnis aus?
Wir haben in den letzten Jahren sehr stark auf die Gastronomie gesetzt, z.B. mit dem „Augustin“. Wir wissen aus Umfragen, dass die Auswahl der Shopping-Destinationen immer mehr von der Gastronomie abhängt. Shopping ist viel mehr als einkaufen! Wir sind früher nach Tarvis oder Udine gefahren. Zu Benetton, weil dort ein Großteil der Kollektion anders war als in Klagenfurt. Und wegen dem Flair der Stadt. Das gibt es nicht mehr. H&M, Zara sind austauschbar. Wir haben in Klagenfurt, Spittal und Villach dasselbe Angebot. Und trotzdem haben wir u.a. viele Klagenfurter, die bei uns in Villach einkaufen.
Ich lege sehr viel Wert auf die Aufenthaltsqualität im Center. Das fängt bei der Architektur an. Darauf haben wir mit dem Architektenteam von Anfang an geschaut. Und die Inszenierung des gesamten Centers. Hier arbeiten wir mit Christian Mikunda zusammen. Denn die Menschen, die zu uns kommen, müssen sich wohlfühlen. Müssen sich hier treffen. Weil es „lässig“ ist. Wir sind für unsere Kundinnen und Kunden der „dritte Ort“. Der Platz, abseits vom Berufs- und Privatleben, wo man gerne verweilt. Das lässt sich nicht über Marken in den Geschäften definieren. Das muss ein Gesamterlebnis sein. Jeder , der zu uns kommt, hat sein persönliches „Highlight“.
Und es sind nicht immer die 90 Shops oder der riesige Interspar. Sondern, wie schon gesagt, auch die Gastronomie oder das „Planet Lollypop“ für Kinder. Denn dort gibt’s die Geburtstagsparty. Pensionisten treffen sich tagtäglich auf ein Glaserl Wein. Vormittagsrunden, Nachmittagsrunden – die leben fast schon im ATRIO. Wir wissen, dass es durch die demografische Entwicklung immer mehr Singles und Alleinstehende gibt. Die Vereinsamung in unserer Gesellschaft – nicht nur Alte, sondern auch Junge. Wenn man schaut, wie Partnervermittlungsbörsen boomen und wie viele Österreicherinnen und Österreicher allein leben. Die haben eine Sehnsucht. Hier sehen wir unsere Chance. Wenn ich herkomme und verweile, mich hinsetze und einen Kaffee trinke. Dann bin ich nicht allein.