Was ich von Piraten über Führung gelernt habe

Mitten in der Nacht stapfe ich durch einen finsteren Wald. Meine Rüstung hängt schwer auf meinen Schultern, es ist kalt und ich bin müde. Aber all das ist egal, wir erwarten einen Angriff auf unsere Burg. Meine Einheit und ich versuchen irgendwas in der verdammten Dunkelheit zu erkennen. Plötzlich ein Geräusch, ich hebe die Hand, wir erstarren. Ein Tier, die Angreifer? Ich ziehe mein Schwert, dann meine ganze Einheit. Adrenalin schießt durch meine Adern und plötzlich bin ich hell wach. Und seltsamerweise fühlt sich das kein bisschen nach Spiel an.

LARP – das steht für „Live Action Role Play“, also das Eintauchen in Rollen und Geschichten, die wir nicht nur denken, sondern leben. Was als nerdiges Hobby begann, hat sich für mich zur wohl unerwartetsten Fortbildung meines Unternehmerinnenlebens entwickelt. Warum? Weil ich dort Eigenschaften trainiere, die in keiner Managementschule gelehrt werden – aber in jeder Führungssituation gebraucht werden.

Die Heldin in mir: Eine andere Perspektive

Amazone für ein Wochenende, Foto: Dunja Mauthner

Meine Liebe zu Fantasy, Computerspielen und Geschichte brachte mich zum LARP. Ich wollte einmal selbst die Heldin sein. Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod (fiktiver Figuren) entscheiden. Und dann noch dazu in einer mittelalterlichen Burg, unter Sternenhimmel, fernab von Mails, Meetings und Alltag.

Was ich damals nicht ahnte: Diese Reisen in andere Welten verändern die Sicht auf die eigene. Denn in einer Rolle lernt man, wie es ist, als Führungskraft zu scheitern. Oder zu wachsen. Oder beides. Ich habe gelernt, in der größten Hektik klare Entscheidungen zu treffen. Ich habe gelernt, wie es sich anfühlt, wenn mir Menschen vertrauen – oder rebellieren. Und das ganz ohne echte Konsequenzen. LARP ist ein geschützter Raum für Mut, für Fehler, für Entwicklung.

Vom Chef zum Schurken – und zurück

Ich bin nicht allein mit dieser Erkenntnis. Florian Kolhammer, Kunsthändler aus Wien, sagt über das LARP: „Ich konnte lernen, meine Worte besser zu überlegen und habe aktiver und ruhiger an einem positiven Ausweg arbeiten können.“

Episch: Florian Kolhammer, Fotocredit: Philipp Tomsich
„Ich konnte lernen, meine Worte besser zu überlegen und habe aktiver und ruhiger an einem positiven Ausweg arbeiten können.“ Florian Kolhammer, Kunsthändler

Er erzählt mir, wie er in Konfliktsituationen – sei es mit einem feuerspeienden Drachen oder einem schwierigen Kunden – gelernt hat, die Ruhe zu bewahren. Dasselbe berichtet auch Lydia Valant, Schmuckdesignerin aus Graz. Für sie war LARP lange ein Fluchtort, ein „Urlaub von sich selbst“. Und gerade dadurch ein Trainingsplatz für Selbstbewusstsein. Sie entwickelt bewusst Figuren, die aus ihrer Komfortzone ausbrechen.

„Ich habe mir Charaktere gebaut, die ‚zu viel‘ Selbstbewusstsein haben – um es zu üben. Und ja: das hat sich auf meinen beruflichen Alltag übertragen.“ Lydia Valant, Schmuckdesignerin aus Graz
Royal: Lydia Valant, Foto: Lydia Valant
Royal: Lydia Valant, Foto: Lydia Valant

Was sie beschreibt, ist Rollenspiel als empathisches Selbstcoaching – eine Erfahrung, die viele Führungskräfte sonst nur durch teure Trainings erreichen.

Verhandeln mit Piraten

Rudi Gaugeler, Geschäftsführer einer Druckerei, hat eine meiner Lieblingsgeschichten erzählt. Bei einem LARP auf einer Pirateninsel improvisierte er ein dramatisches Verhör, das in einem klassischen Mexican Standoff endete: vier gezogene Waffen, ein drohender Offizier, angespannte Sekunden – und eine diplomatische Lösung.

„Ich versuchte im besten Christoph-Waltz-Stil zu vermitteln. Am Ende zogen alle wieder ab – um fünf Silberstücke ärmer.“ Rudolf Gaugeler, Gaugeler Druck & Folientechnik in Kärnten

Er lacht, wenn er das erzählt. Doch genau solche Situationen – spontane Eskalationen, Improvisation unter Druck, Humor als Werkzeug – lassen sich auf reale Verhandlungen übertragen. LARP ist ein Trainingscamp für Strategie, Kommunikation und emotionale Intelligenz.

Erleichterung: Wir haben es überlebt, Foto: Jessi McKheck/Bodo Wüster

Spielend führen lernen

Was ich im Spiel gelernt habe, lässt sich kaum in Checklisten packen: echte Führung bedeutet mehr als Verantwortung. Es geht um Vertrauen, Motivation, Zuhören, Einschätzen, Reagieren. Und ja, manchmal bedeutet Führung auch, das Team am Lagerfeuer zusammenzuhalten, während außen Zombies den Palisadenzaun belagern.

Rudolf bringt es auf den Punkt:

„Man kann niemanden mit Drohungen motivieren. Du musst verstehen, wer was kann – und wie du sie freiwillig in Bewegung bekommst.“

Warum mehr UnternehmerInnen LARP spielen sollten

Ich wünsche mir manchmal, dass mehr UnternehmerInnen ein Wochenende lang ihren Laptop gegen ein Schwert tauschen. Nicht, um zu kämpfen, sondern um zu fühlen. Zu erleben, wie sich Entscheidungen anfühlen, wenn sie unmittelbare Reaktionen hervorrufen. Wie sich Hierarchie verändert, wenn sie nicht angeordnet, sondern erspielt wird. Wie es ist, wenn man plötzlich nicht mehr der Boss ist – sondern der Bittsteller.

Denn nur wer weiß, wie es sich anfühlt, in der Haut des Anderen zu stecken, kann einfühlsam und weitsichtig führen. LARP schafft genau diesen Perspektivenwechsel.

Was ich zwischen den Welten gefunden habe

Was ich vom LARP mitgenommen habe? Klarheit. Gelassenheit. Empathie. Und ganz sicher ein besseres Gespür für Menschen. Ich sehe meine KundInnen und KollegInnen heute anders. Ich erkenne schneller, wer was braucht. Und ich kann mich besser abgrenzen – weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man einmal jemand ganz anderes war.

Und das Beste: Ich hatte dabei einfach unglaublich viel Spaß!

Meine InterviewpartnerInnen

Lydia Vallant

Lydia Valant

Selbstständige Schmuckdesignerin aus Graz. Mit Orniello – Schmuck mit Geschichte fertigt sie historische Repliken und Unikate aus Metall, Glas und Perlen. Ihre Arbeit verbindet archäologisches Wissen mit kunsthandwerklicher Präzision. Foto: Imago Nuntius

 

Florian Kohlhammer

Florian Kolhammer

Kunsthändler aus Wien mit Fokus auf Jugendstil, Secession und Mid Century Design. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er die Galerie FLORIAN KOLHAMMER, die international auf Kunstmessen vertreten ist. Foto: Matthias Heschl

 

Rudolf Gaugeler

Geschäftsführer der Klagenfurter Druckerei Gaugeler Druck- und Folientechnik. Das Familienunternehmen besteht seit 1980 und ist auf Kunstdrucke, Folierungen und Montagen spezialisiert. Seit 2020 leitet er es in zweiter Generation. Foto: Arnold Pöschl

 

Video von Petra Widler zum Thema „Was ist LARP?“:

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Mehr Informationen

Interessiert?

Wer jetzt neugierig geworden ist und wissen will, wie es ist, im Wald gegen Orks zu kämpfen, als Detektivin im viktorianischen England einen Mord zu lösen oder als Raumschiff-Kommandantin Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen – wagt sich doch mal in die Welt des LARP. Und wer weiß – vielleicht entdeckt man dort sogar eine neue Version seiner selbst.

👉 Infos und Events unter: larp-österreich.at

👉 LARP-Verein in Kärnten, dem ich auch angehöre: Gilead Verein

M.U.T.letter

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