In der regelmäßigen Kolumne „Selbst & ständig“ schreibt unser Autor Ljubisa Buzic über das Leben als Ein-Personen-Unternehmen – mit persönlichen Erfahrungen, Aha-Momenten und einer Portion Selbstironie. Keine Erfolgsmythen. Dafür ehrliche Einblicke, Learnings und Gedanken übers Arbeiten, Scheitern und Weitermachen.
Es ist Frühsommer 2024. Ich schreibe meine erste Honorarnote. Die Sonne scheint, die Kinder spielen gerade – und ich tippe Zahlen in ein Word-Dokument, als würde ich eine Bombe entschärfen. Ich bin aufgeregt. Irgendwo zwischen „Endlich mach ich mein eigenes Ding“ und „Hoffentlich merkt niemand, dass ich keine Ahnung habe, was ich da tue“. Willkommen im ersten Jahr der Selbstständigkeit.
Ich stecke mitten zwischen Beratungsterminen bei der Wirtschaftskammer und Formularen fürs Finanzamt, feile an meinem LinkedIn-Profil und komme jeden Tag drauf, was mir für mein Büro noch alles fehlt. Buchhaltung und Steuererklärung sind für mich wie Horoskope – ich lese sie, verstehe nichts, und hoffe, dass es gut ausgeht. Wissen über das Unternehmertum habe ich noch keines – woher auch, keiner hat es mir beigebracht. Dafür merke ich in meinem ersten Jahr, dass ich jede Menge unnütze Gewohnheiten aus meinem früheren Angestellten-Dasein mitschleppe.
Präsenz-Kultur und Stress-Kult
Als Angestellter hast du ständig das Gefühl, beurteilt zu werden – auch wenn es dir gar nicht bewusst ist. Hoffentlich sieht der Chef nicht, dass ich heute eine halbe Stunde später gekommen bin. Hoffentlich merkt die Kollegin nicht, dass mir gerade ein kleiner Fehler passiert ist. Und achtet die Empfangsdame darauf, wie lange ich Mittagspause gemacht habe? Ist es ok, wenn ich pünktlich nachhause gehe, während die Abteilungsleiterin jeden Tag zwei Stunden länger bleibt?
Präsenzkultur nennt man das. Wer länger sitzt, später Mails schreibt und überhaupt möglichst gestresst ist, darf sich als produktiver Angestellter bezeichnen. Wer im Angestelltenleben nicht zumindest ein bisschen busy tut, wird schräg angeschaut. Leistung messen wir oft in gefühltem Fleiß. Dass dieser Fleiß manchmal weder strategisch klug ist noch besonders viel bringt – geschenkt. Hauptsache, man ist abends müde.
Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich genau dieses Mindset mitgenommen. Ich habe gearbeitet wie im Büro, nur ohne Büro. Morgens um acht am Schreibtisch, To-do-Listen zum Abhaken, Mittagspause mit schlechtem Gewissen. Und am Ende des Tages: 37 Tabs offen, 1000 Gedanken im Kopf, aber kein klarer Fokus.
Gelernte Unselbstständigkeit
Kein Wunder, wir alle lernen das schon in der Schule. Das Bildungssystem bringt keine Unternehmer hervor, sondern Unselbstständige. Gefragt sind brave Pflichterfüller, keine Querdenker. Wer im Unterricht eigene Ideen einbringt oder andere Wege geht, gilt schnell als Störenfried. Kreativität und Eigensinn werden nicht gefördert. Unternehmergeist? Kommt im Lehrplan nicht vor. Dass unsere Gesellschaft überhaupt Unternehmerinnen und Unternehmer hervorbringt, ist weniger Systemerfolg als Trotzreaktion.
sondern Unselbständige“, Ljubisa Buzic
Als Selbstständiger muss ich unternehmerisch denken. Wie kann ich meine Arbeit bestmöglich machen – so dass nicht nur mein Kunde, sondern auch ich etwas davon habe? Nicht immer bedeutet das, viele Mails zu schreiben und lange im Büro zu sitzen. Manchmal ist es das ausführliche Gespräch mit einer neuen Kundin, ohne auf die Uhr zu schauen. Oder die Stunde ohne Bildschirm. Oder die Entscheidung, weniger zu machen – dafür besser.
Heute bin ich mein eigener Chef, mein eigener Kollege und auch meine Empfangsdame. Meine Kunden schätzen die Qualität meiner Arbeit, aber wann wo und wie ich sie erledige, ist ganz allein meine Sache. Einen guten Job mache ich nicht, indem ich lange daran sitze, sondern die effizienteste Lösung finde. Ganz selbstständig eben. Und das fühlt sich gut an.
In der nächsten Kolumne: Warum Selbstständige offener über Honorare sprechen sollten.