New Work – wie wir in Zukunft arbeiten

Zukunftsforscher Andreas Reiter blickt gemeinsam mit M.U.T.-Chefredakteurin Isabella Schöndorfer über den heimischen Tellerrand. Im Interview verrät er Kärntens wirtschaftliche Aussichten für die neue Verbindung nach Graz und was getan werden muss, um aus diesem Match nicht als Verlierer hervorzugehen.

M.U.T.: In vielen Rankings ist Kärnten das Schlusslicht. Wo sehen Sie Potenzial, das Kärnten noch für sich nutzen kann?

Andreas Reiter: Auf den ersten Blick ist Kärnten ein Kellerkind. Prognosen sagen, dass Kärnten das einzige Bundesland ist, das eine sinkende Bevölkerung aufweist. Wenn wir uns die nächsten 30 bis 40 Jahre anschauen, geht es nirgendwo runter außer in Kärnten. Das ist ungewöhnlich, weil eigentlich jeder Standort gewinnt. Das ist auf den ersten Blick natürlich kein rosiger Ausblick. Aber mit der Koralmbahn erhält Kärnten interessante Querverbindungen. Denn Kärntens Standortnachteil, wenn ich nicht gerade in Slowenien zu tun habe, ist die Erreichbarkeit.

New Work – wie wir in Zukunft arbeiten
„Wolfsburg ist deutlich weniger sexy als Klagenfurt“, so Reiter über die Attraktivität Kärntens für junge Menschen. Foto: Sandra Tauscher

Welche Chance könnte die beschleunigte Achse nach Graz bringen?

So ein Eingriff wie die Koralmbahn erinnert mich an das Beispiel Wolfsburg–Berlin. Da geht es um eine riesige Automotiv-Region. Dort herrscht die höchste Patentrate und es passiert enorm viel rund um die VW-Entwicklung. Junge Menschen aus Berlin pendeln täglich mit dem ICE. Die Strecke ist mit Graz-Klagenfurt vergleichbar. Und Wolfsburg ist deutlich weniger sexy als Klagenfurt. Klagenfurt kann für junge Familien auf jeden Fall attraktiv sein. Für junge Leute ist es aber keine coole Stadt. Wenn diese aber in Graz leben, sind plötzlich solche Verknüpfungen wie bei Berlin möglich.

Ist remote work ein Heilsbringer für Kärnten?

Arbeit der Zukunft heißt ja, dass wir multilokal arbeiten. Das bedeutet, dass wir etwa in Graz wohnen und zwei Tage in Wien und zwei Tage in Klagenfurt arbeiten, am fünften Tag zum Beispiel in München unterwegs sind. Das macht inzwischen ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung aus, die in ihrem Berufsbild mobil sein können. Wir müssen uns das wie ein Satellitensystem mit seinen Hubs und Co-working places vorstellen. Viele Firmen bieten ihren MitarbeiterInnen neben Homeoffice mit Desk-Sharing auch Büros in Metropolen an. Die Arbeitswelt ist inzwischen extrem agil. Solche Modelle können für einen Standort wie Kärnten, der wunderbare geografische Gegebenheiten aufweist, von Vorteil sein.

Was kann Kärnten tun, um gegenüber der Steiermark nicht als Verlierer des Koralmbahn-Projekts dazustehen?

Es geht um die Selbstwirksamkeit, was man aus dieser Chance macht. Gehe ich auf Formate wie Workation oder Bleisure** ein? Dafür brauche ich Partner, zum Beispiel Hotels, die das anbieten. Sind die eigenen Leute bereit? Diese Faktoren wird man sensibilisieren und beeinflussen müssen. Es ist alles machbar. Brandenburg beherbergt im Gürtel rund um Berlin, also ca. 100 Kilometer Durchmesser, Kodörfer, wohin junge Menschen vor dem teuren und stressigen Berlin fliehen. Diese Menschen ziehen einander an und tun sich in Communities zusammen. Dort steckt das Land Geld in gewisse Entwicklungsachsen.

Da braucht es oft eine Person, die das alles initiiert. In Brandenburg ist das Frederik Fischer mit Neulandia (Anm.d.Red.: Lesen Sie dazu das Interview mit ihm.). Er hat sich mit den BürgermeisterInnen zusammengetan und erkannt, dass sie die sterbenden Kleinstädte retten können. Das ist eine politstrategische Angelegenheit. Daraus entstand der Summer of Pioneers, der auch bewusst beworben wurde. Es braucht ein Anreizsystem.

Neuer Mitarbeiter namens KI: Welche Vorteile bringt das Co-Working mit KI?

KI ist wertschöpfend. Seit 30 Jahren weiß die Politik, dass wir durch die demographische Entwicklung weniger Leute zur Verfügung haben. Auch wenn es viele nicht hören wollen, wird die KI in einigen Berufsfeldern eine 3,5-Tage-Woche und damit völlig neue Arbeits- und Lebensmodelle ermöglichen. Die neue Generation hat eine andere Definition von Leistung und Lebensqualität. Wer erbt, dem reicht immer öfter der Halbtagsjob und legt Wert auf Ausgleich beim Yoga. Ganz nach dem Motto: Ich will nur die Dinge machen, die ich will. Deshalb sprechen wir heute vom Arbeitnehmermarkt. Ganz im Sinne des ESG*** rückt das „S“ für Soziales in den Vordergrund. Demonstrationen oder Proteste erhöhen zusätzlich den Druck.

New Work – wie wir in Zukunft arbeiten
„Arbeit der Zukunft heißt ja, dass wir multilokal arbeiten“, Andreas Reiter. Foto: Sandra Tauscher

Sind Ihnen besondere Anreize für junge Arbeitnehmer bekannt?

Bei der Generation Z ist das Thema „mental health“ extrem wichtig. Wenn ich also in der mentalen Gesundheit als Unternehmen keine Unterstützung anbiete und auch den Arbeitsplatz nicht dementsprechend gestalte, habe ich heutzutage ein Problem. Es ist das Thema für die junge Generation und wurde mit der Pandemie groß. Weit über 38% der jungen Frauen weisen psychische Probleme von Essstörungen bis hin zu Depressionen auf. Die Jungen suchen nach Orientierung und Halt.

Wie werden sich Unternehmen in Zukunft wandeln?

Was man stark sieht, ist die Impact-Economy. „Ich gründe ein Unternehmen, weil ich der Welt etwas Gutes tun möchte.“ Mein Sohn hat in Afrika ein Unternehmen gegründet, das medizinische Güter nach Ostafrika bringt. Auch mit dieser Absicht, die Welt zu verbessern. Diesbezüglich sind uns die Holländer bereits weit voraus. Die Stadt Den Haag etwa hat sich als Impact-City gebrandet. Die haben ein ökonomisches Netzwerk gegründet zwischen Unternehmen, Start-ups, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft und dafür bestimmte Kriterien definiert. Wer dabei sein will, muss Gutes für die Stadt tun. Unsere Welt wandelt sich weg vom Ego- hin zum Eco-System.

In einer digital vernetzten, derart komplexen Gesellschaft brauchen wir einander. Probleme werden „co-kreativ“, also gemeinsam, gelöst. Unsere Lage ist so dringlich, dass der persönliche Benefit in den Hintergrund rückt. Die Gesellschaft hat sich geändert. Unternehmen sind nicht mehr für sich selbst verantwortlich, sondern für das große Ganze. So wird man immer stärker von allen möglichen Seiten erzogen, man muss nach links und rechts schauen und nicht nur den eigenen Weg alleine gehen. Firmen sind Teil des Systems.

*Backlash (deutsch „Gegenschlag, Rückschlag“) ist eine Bezeichnung für reaktionäre Bestrebungen, die gegen als fortschrittlich erachtete Entwicklungen gerichtet sind, sowie für die Rückkehr konservativer Wertvorstellungen und die Stärkung solcher politischen Kräfte.

**die Verbindung aus Business und Leisure, also Arbeit und Freizeit

***initiiert von den Vereinten Nationen und steht für die Begriffe Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung).

Fotos: Sandra Tauscher

M.U.T.letter

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