MUTAUSBRUCH: Sind wir im Krieg?

Die Politik sollte den Menschen in Europa klar machen, dass sie sich in einer Vorstufe zum dritten Weltkrieg befinden. Aber wer will schon der Partycrasher sein, noch dazu vor den EU-Wahlen.

„Wir haben eine nahezu hundertprozentige Abschussquote, das ist das, was uns von den ukrainischen Militärs zurückgemeldet wird“, frohlockte Harald Buschek, ein Geschäftsführer von Diehl Defence, im September vergangenen Jahres in Medienberichten. Mehr als 100 russische Angriffe hatte das Luftabwehrsystem Iris-T SLM des deutschen Herstellers in der Ukraine damals bereits vereitelt.

Sabotage oder Pech?

Am ersten Mai-Wochenende dürfte die Stimmung im Unternehmen weniger gut gewesen sein: Ein Großbrand legte den Standort einer Diehl-Tochter in Berlin in Schutt und Asche, Teile der Fabrikshalle stürzten ein. Laut einem Firmensprecher wurden hier Automobilteile gefertigt, keine Rüstungsgüter. Der Verdacht einer Sabotageaktion liegt dennoch nahe, aber noch glühen die Trümmer, die Medien halten sich mit Schuldzuweisungen zurück. Nur so viel sickerte durch: Mindestens vier deutsche Luftabwehrsysteme aus dem Hause Diehl schützen derzeit die ukrainische Hauptstadt, Diehl-Chef Helmut Rauch war sogar persönlich in Kiew, um mit Wirtschaftsminister Habeck Präsident Selenski zu besuchen. Eine Revanche auf Russisch? Offizielle Stellen winken ab: Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Aufklärung? Bitte warten!

Eine rasche – und glaubwürdige – Aufklärung der Brandursache ist nicht zu erwarten. Immerhin gibt es in einem wesentlich schlimmeren Sabotageakt bis heute keine Klarheit, genau genommen: nicht einmal ein spürbares Interesse daran. Im September 2022 zerstörte ein Sprengstoffanschlag drei der vier Rohre der Nordstream-Pipeline vom russischen Wyborg ins deutsche Lubmin bei Greifswald. Zum enormen Schaden an der Infrastruktur kommen noch viele weitere Milliarden Euro, die durch die folgenden Gas- und Strompreiskapriolen in Europa vernichtet wurden und die noch für die Errichtung von LNG-Terminals, neuer Leitungsinfrastrukturen und natürlich teurer Gaslieferungen aus den USA aufgebracht werden müssen.

Die Mär vom Segelboot

Die Röhren von Nordstream haben einen Innendurchmesser von etwas mehr als einem Meter, die Wände aus Carbonstahl sind zwischen 27 und 41 Millimeter stark. Die vier Pipeline-Stränge verlaufen in 70 bis 80 Metern Tiefe und haben zueinander einen Abstand zwischen einer und 40 Seemeilen. Eine der Nord-Stream-1-Röhren wurde auf einer Länge von 250 Metern zerstört, der betroffene Nord-Stream-2-Strang hat noch größere Schäden davongetragen. Ob die rund 20 Milliarden Euro teure Anlage zumindest theoretisch repariert werden kann, ist höchst fraglich. Schuldige konnten oder wollten die deutschen Ermittlungsbehörden bislang nicht nennen, immer noch kursiert die haarsträubende Geschichte, die Russen selbst hätten ihre eigene Pipeline – die sie zu 100 Prozent kontrollierten – gesprengt. Dass ein ukrainisches Einsatzkommando mit einem kleinen Segelboot die Aktion ausgeführt haben soll, wie der jüngste Erklär- und Ablenkungsversuch glauben machen will, sorgt bei Profis in allen Lagern für Heiterkeitsstürme.

Die OMV-Raffinerie Schwechat

Der 175-Millionen-Unfall

Aber nicht nur in deutschen Meerestiefen, auch in der Nähe der Bundeshauptstadt Wien geschehen seltsame Dinge. Am 3. Juni 2022 kam es in der OMV-Raffinerie Schwechat – angeblich im Zuge einer Wasserdruckprüfung – zu einer „Beschädigung der Außenhaut an der Hauptkolonne der Rohöl-Destillationsanlage“, so die OMV-Darstellung. Dieser „Unfall“ führte monatelang zu Versorgungsengpässen bei Diesel, Benzin und Kerosin in Österreich, weshalb die Bundesregierung sogar hunderttausende Tonnen der strategischen Öl-Reserve freigeben musste. Der Spritpreis stieg munter, der Schaden an der Raffinerie war so gewaltig, dass zu den 800 Beschäftigten der OMV in Schwechat weitere 300 Spezialisten angeheuert werden mussten. „Insgesamt wurden 200 Tonnen Stahl zu Ersatzteilen verarbeitet“, heißt es in einer Aussendung. Im Herbst 2022 konnte die Anlage wieder in Betrieb gehen, die Kosten des „technischen Gebrechens“ beliefen sich auf 175 Millionen Euro. Mutmaßungen, es könne sich um russische Sabotage handeln, wurden von der OMV im Keim erstickt, ernsthafte Ermittlungen des Innenministeriums gar nicht erst aufgenommen.

Im Blindflug

In ganz Europa gibt es neben einer enormen Zunahme von Cyber-Attacken auf Unternehmen und Verwaltungseinrichtungen reihenweise weitere rätselhafte „Vorfälle“ im Umfeld kritischer Infrastruktur. Das betrifft Raffinerien, Stromversorger oder beispielsweise das satellitengestützte Positionssystem GPS. „Im Ostsee-Raum stört das russische Militär immer häufiger gezielt den Satellitenempfang. Die Folgen für Flugzeuge, Schiffe und Menschen sind enorm. Experten warnen vor einer wachsenden Gefahr“, schrieb das bezüglich journalistischer Übertreibungen unverdächtige Handelsblatt vor wenigen Tagen.

Flugverkehr bedroht

So war der britische Verteidigungsminister Grant Shapps Mitte März auf dem Weg von Polen zurück nach London, als die Regierungsmaschine für rund 30 Minuten jeden Kontakt zu GPS-Satelliten verlor. Die finnische Fluggesellschaft Finnair hat kürzlich wegen anhaltender GPS-Ausfälle ihre Flüge ins estnische Tartu eingestellt, bis dort ein alternatives Positionierungssystem installiert werden kann. „If someone turns off your headlights while you’re driving at night, it gets dangerous“, (re)postete Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis angesichts der konkreten Gefahr durch russisches GPS-Jamming und -Spoofing.

Baltic Jammer

Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA hat mittlerweile mehr als 25.000 gezielte GPS-Störungen im Luftraum über Europa registriert. Auslöser dürfte das russische Waffensystem „Tobol“ – Spitzname: Baltic Jammer – sein, das in der Exklave Kaliningrad stationiert sein dürfte und oft tagelang das GPS bis nach Norddeutschland stört. Dramatische Folgen für die Zivilluftfahrt und sogar mögliche Todesopfer nimmt der Kreml offenbar in Kauf.

Weltkrieg auf Raten?

Ein Indiz, das die Analysen von Bundesheer-Oberst Markus Reisner untermauert. Im Interview mit „Militär aktuell“ Anfang April bejaht er vorsichtig die Frage, ob wir uns bereits in einem dritten Weltkrieg befinden: „Der Papst hat im Oktober von einem ‚Weltkrieg auf Raten‘ gesprochen und vielleicht befinden wir uns tatsächlich bereits in einer Phase, die von der Geschichtsschreibung irgendwann als Weltkrieg bezeichnet wird. Wir wissen es nicht. Die Situation scheint sich aktuell jedenfalls immer mehr zuzuspitzen – und das in vielen Regionen der Welt, auch in der Ukraine.“

Markus Reisner (c) ÖBH

Süden gegen Norden

Erst in 20 Jahren würden Geschichtsschreiber möglicherweise konstatieren, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt längst in einem Weltkrieg befunden haben, „einer großen Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten globalen Süden und dem globalen Norden“, meint Reisner. Denn dieser, insbesondere die USA, habe in den vergangenen Jahren Schwächen gezeigt: „Es kommt aktuell an so vielen Ecken der Welt so viel zusammen, dass ich große Zweifel an einer positiven Zukunft habe. Unsere einzige Chance ist, die Entwicklungen jetzt richtig zu deuten und sich darauf vorzubereiten. Dann kann es uns gelingen, das Schlimmste zu verhindern. Gerade auch für Österreich.“

Das klingt danach, als ob die EU-Party – zumindest vorerst – vorbei wäre. Jemand sollte es den Gästen sagen.

M.U.T.letter

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