Löhne, Energie, Bürokratie: Wirtschaft gibt Standortalarm

Die Warnsignale für den schleichenden Niedergang des Wirtschaftsstandortes nehmen zu. Die Energiewende droht zur Wohlstandswende zu werden. WB-Landesobmann und WK-Präsident Mandl: „Stockt der Export, stirbt das Land!“

Neben den Energiepriesen sind laut einer aktuellen Studie die hohen Arbeitskosten schuld daran, dass immer mehr heimische Unternehmen konkret über Abwanderung oder Produktionsverlagerung nachdenken. Weitere Auslöser für die aufkommende De-Industrialisierungsfurcht sind die enorme Regulierungswut der Bürokratie, der anhaltende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die hohen Steuern und Abgaben. WK-Präsident Jürgen Mandl: „Wir müssen uns im Lebens- und Wirtschaftsstandort Kärnten, dessen Wohlstand in hohem Maße vom weltweiten Export abhängt, bewusst sein, wie dünn das Eis ist, auf dem wir alle stehen: Die Unternehmen, die Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter und der Staat mit allen seinen Aufgaben von der sozialen Absicherung über Gesundheit und Bildung bis zum erhöhten Sicherheitsbedürfnis – all das wird von Steuern und Abgaben finanziert, die wir großteils außerhalb von Österreich verdienen. Stockt der Export, stirbt das Land.“ 

Abwanderung hat schon begonnen

Umso besorgniserregender sind die Ergebnisse, die eine Untersuchung von Deloitte Consulting zu „Österreichs Industrie im Wandel“ in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Wirtschaftspolitik der WKO zutage gefördert hat: Die Attraktivität des Industriestandortes schwindet, drei von vier Unternehmen sehen die Gefahr einer breiten De-Industrialisierung in Österreich. Dabei sind Produktionsverlagerungen bereits Realität und nehmen weiter zu, vor allem kostenintensive Bereiche wandern ab. Laut Deloitte haben mehr als 40 Prozent der 500 befragten Unternehmen in den vergangenen drei Jahren bereits Maßnahmen ergriffen, um ihre Wertschöpfungskette an die verschlechterten Rahmenbedingungen in Europa und Österreich anzupassen. Besonders die USA gewinnen mit attraktiven Förderungen im Rahmen des „Inflation Reduction Act“ (IRA), wesentlich günstigeren Strompreisen und unternehmensfreundlicher Bürokratie spürbar an Attraktivität. Mandl: „Auch in Kärnten gibt es konkrete Überlegungen namhafter Unternehmen, den Standort zu verlassen. Das ist ein Alarmsignal, das die Politik nicht überhören darf.“

Die ausschlaggebenden Verlagerungsgründe (C) WKO_Deloitte

Gaslücke bedroht die Industrie

Ein weiteres Bedrohungsszenario für die Wirtschaft ist für Mandl die Ankündigung der Ukraine, die mit Ende 2024 auslaufenden Gasdurchleitungsverträge mit Russland nicht zu verlängern. Dies stelle für Österreich, das trotz der offensichtlichen Gefährdung der Versorgungssicherheit durch den Krieg bisher keine Anstalten unternommen habe, die enorme Abhängigkeit rasch zu verringern, eine ernsthafte Herausforderung dar. Denn während große Teile Europas die vergangenen beiden Jahre zum Aufbau von alternativen Energieinfrastrukturen genutzt haben, habe Österreich diese Umstellungsphase verschlafen.

Österreich hinkt hinterher

So soll die West-Austria-Gasleitung (WAG), die seit 1980 auf 245 Kilometer Länge vom Gasknotenpunkt Baumgarten im Marchfeld bis nach Oberkappel an der deutschen Grenze verläuft, „geloopt“, also um ein Rohr in die Gegenrichtung ergänzt werden. Damit wäre auch der Transport von Gas von Nordeuropa in den Osten Österreichs möglich. Nachdem aber erst vor wenigen Wochen die Entscheidung für eine Unterstützung durch den Bund erfolgte, wird der Loop erst frühestens 2027 in Betrieb gehen können – Jahre zu spät, falls die Ukraine tatsächlich mit Anfang 2025 die Gasdurchleitung einstellt. Weiters verlangt Mandl die umgehende Aufnahme von Planungsarbeiten, wie die bestehende Trans Austria Gaspipeline, die ebenfalls von Baumgarten durch die Steiermark und Kärnten nach Italien führt, an die LNG-Terminals vor Venedig und der kroatischen Insel Krk angebunden werden kann.

 

Netzkosten und Ausgleichszahlungen

Eine der Herausforderungen der Energiewende ist der – seit Jahren bekannte – Umstand, dass die aktuellen Netzkapazitäten mit dem Zuwachs von erneuerbaren Energiequellen sowie der weiteren Elektrifizierung der Gesellschaft (Mobilität, Heizung) nicht Schritt gehalten haben. Das beeinträchtigt nicht nur die Versorgungssicherheit, sondern erhöht auch die Kosten sogenannter Redispatch-Maßnahmen, mit denen das Netz – etwa bei Übereinspeisung oder Leitungsausfall – stabil gehalten wird. Der österreichische Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) beklagt eine hohe Auslastung der Stromnetze und warnt vor steigenden Kosten für notwendige Eingriffe in die Stromversorgung. 2023 lagen diese für die Stromkunden bei 141,6 Mio. Euro, das entspreche einer Erhöhung von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr und fast einer Verdoppelung gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, so die APG.

Mandl warnt, es dürfe nicht wie bei der Netzabstützung Villach wieder zehn Jahre dauern. Land und Bund müssten Gesetze vereinfachen, sonst scheitere die Energiewende.

Netzausgleichskosten explodieren

Auch diese Kosten muss am Ende der Stromkunde bezahlen. Ein leistungsstarkes Stromnetz mit ausreichender Kapazität sowie entsprechender Speicherkapazitäten in allen Ebenen würden die Kosten erheblich verringern, weshalb die Wirtschaftskammer entsprechende Netzinvestitionen seit langer Zeit einfordert. Mandl: „Das darf aber nicht wieder zehn Jahre dauern wie bei der Netzabstützung Villach. Land und Bund sind gefordert, entsprechende gesetzliche Vereinfachungen zu schaffen, damit solche Infrastrukturinvestitionen auch in überschaubaren Zeiträumen umgesetzt werden können, sonst wird die Energiewende in einer Flut von Beschwerden steckenbleiben.“

Energieflussdiagramm: So ist die Energiewende nicht zu schaffen

Die Abteilung Wirtschaftspolitik der WKK hat ein Energieflussdiagramm entwickelt, das anschaulich die Anteile der jeweiligen Energieträger und ihre Veränderung im Zeitablauf darstellt. So machten Öl und Gas im Jahr 2022 mehr als 10.000 Gigawattstunden aus, Photovoltaik und Windkraft hingegen nur knapp 300. Die Rechnung ist einfach: Nehmen die Erneuerbaren weiterhin um nur 100 GWh pro Jahr zu, braucht Kärnten noch 100 Jahre für die Energiewende. Europa und Österreich haben sich allerdings vorgenommen, bis 2040 (!) sämtliche fossilen Energieträger durch erneuerbare zu ersetzen.

Kärnten 2022 im Energieflussdiagramm (C) WKK

Aktuelle Gesetzesentwürfe

Das neue Raumordnungsgesetz und die angepasste PV-Verordnung waren in den vergangenen Wochen in Begutachtung. Mandl: „Die vorliegenden Vorschläge sind ein guter und wichtiger Schritt, wobei an manchen Standorten eine größere Freiflächenkapazität für die Energieproduktion von großem Vorteil wäre. Entscheidend aus Sicht der Wirtschaft ist jedoch das Tempo bei der Umsetzung!“

Zündet der Investitionsturbo?

Der angestrebte ganzjährige Energiemix benötigt einen schnellen Ausbau der Windkraft für die Wintermonate. Die Wirtschaft fordert daher, in ähnlicher Geschwindigkeit wie im Bereich der Photovoltaik die Windkraft zu forcieren und die entsprechenden Verordnungen und Gesetze demensprechend zu adaptieren. Denn, so Mandl: „Die Energiewende ist ein Investitionsturbo, der Kapital, Tempo durch Entbürokratisierung und Mut für klare politische Entscheidungen braucht. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist das Fundament unseres Wohlstandes – und dafür ist eine sichere, günstige Energieversorgung die Grundvoraussetzung.“

Mahnender Fingerzeig

Die Kärntner Industriellenvereinigung hat sich in einem Interview mit der Kleinen Zeitung dem Standortalarm Mandls angeschlossen. Präsident Timo Springer: „Wir verlieren Jahr für Jahr und das ist hausgemacht. Die Inflation liegt ständig über der durchschnittlichen EU-Inflation, der erhöhte Druck bei Lohn- und Gehaltsabschlüssen führt zu einer Lohn-Preis-Spirale und extrem gestiegenen Lohnstückkosten.“ Springer warnt vor einer Entwicklung, die zu echter De-Industrialisierung führen könne: „2023 haben ausländische Unternehmen in Österreich 18,5 Milliarden Euro investiert, aber umgekehrt österreichische Unternehmen 42 Milliarden im Ausland. Das ist ein Fingerzeig, wohin es geht.“

Fotos: Helge Bauer

M.U.T.iger

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