Lernen Sie Exportgeschichte!

Selbst in einem beschränkten Handelskrieg haben Österreich und Kärnten schlechte Karten. Unser Wohlstand steht und fällt mit Freihandel und Exporterfolgen – unsere Demokratie wahrscheinlich auch.

Wütend schleuderte Österreichs legendärer Bundeskanzler Bruno Kreisky einem ORF-Reporter im Jahr 1981 entgegen: „Lernen’s a bissl Geschichte!“ Sie waren unterschiedlicher Auffassung über die Rolle des Parlaments in der Ersten Republik. Ähnlich motiviert möchte man heute all jenen entgegentreten, die in totaler Verkennung der wirtschaftlichen Verhältnisse den freien Handel in Frage stellen. Und zwar mit einem kräftigen, das Kreiskysche Diktum abwandelnden: „Lernen Sie Exportgeschichte!“

Lernen Sie Exportgeschichte!
Norbert Wohlgemuth, Volkswirt an der Uni Klagenfurt, Foto: Gilbert Waldner

Norbert Wohlgemuth, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Klagenfurt, stellt klar: „Kleinere Länder wie Österreich erwirtschaften einen Großteil ihres Wohlstands im Außenhandel.“ Bei großen wie den USA sei das hingegen deutlich anders. Die USA etwa stünden zwar für rund ein Viertel des weltweiten Bruttoregionalprodukts, allerdings nur für rund 8,3 Prozent der weltweiten Exporte (2022, Quelle hier). Wohlgemuths Erklärung dafür: In einer derart großen und wirtschaftlich differenzierten Nation spielen Binnenlieferungen eine deutlich größere Rolle als in kleineren Staaten.

Zoll-Dekrete von US-Präsidenten

Trotzdem haben es die USA immer mal wieder mit Zöllen probiert. Wohlgemuth legt uns einen Artikel aus dem Wirtschaftsmagazin „Economist“ vom 12. April vor („Free Exchange. Reed Smoot, eat your heart out“), der eine lange Reihe von protektionistischen Maßnahmen unterschiedlichster Präsidenten dokumentiert. Sogar der Inbegriff des Wirtschaftsliberalen, Ronald Reagan, hat im Jahr 1983 Sonderzölle auf ausländische Motorräder eingeführt, um die heimische Kultmarke Harley Davidson zu schützen. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, wenn die Europäer als Gegenmaßnahme gegen die US-Zollpolitik ausgerechnet die Harleys mit höheren Zöllen belegen.

Namentlich gezeichnet ist der Artikel im Economist übrigens nicht, der zum Ergebnis kommt, dass diese Sonderzölle in der Zeit vor Donald Trump – inkonsequent wie sie waren – relativ wenig Auswirkungen auf die nationale und internationale Wirtschaft hatten. Man muss schon weit in die Vergangenheit der USA zurückschauen, um zu in Höhe und Breite der Wirksamkeit substanziellen Zöllen wie in den Sechzigern des 19. Jahrhunderts zu kommen. Im so genannten Sezessionskrieg versuchten die Südstaatler ihre Kriegskosten durch Baumwollexporte zu finanzieren, die Nordstaatler ihnen hingegen mit effektiven Zöllen von 32 Prozent einen Strich durch die Rechnung zu machen. Dabei waren die USA damals – wie der Economist schreibt – sehr viel weniger abhängig von internationalen Lieferketten. Präsident Abraham Lincolns Berater, der Ökonom David Wells, wandelte sich damals vom Befürworter in einen Gegner von protektionistischen Zöllen. Er erkannte, dass die Verfügbarkeit von billigen Rohmaterialien essenziell für die Entwicklung der US-Industrie ist.

Trumps Zoll-Debakel

Eine Lektion, die der aktuelle Präsident wohl erst auf die harte Tour lernen muss. Dass China quasi ein Monopol auf die für viele High-Tech-Industrien so wichtigen Seltenen Erden hat, scheint ihn vorerst wenig zu kümmern. Entgegen dem Rat vieler Experten hat Trump die Devise ausgegeben, dass sich die Vorteile von hohen Zöllen erst nach Monaten und Jahren zeigen würden. Mal sehen, ob ihn das Debakel an den Aktienmärkten, der Absturz von US-Staatsanleihen, massiv steigende Preise und der drohende Verlust der Position des Dollar als weltweiter Leitwährung umstimmen können. Sein „Berater“ Elon Musk musste schon buchstäblich die Notbremse ziehen, nachdem die Verkaufszahlen seiner bulligen E-Autos regelrecht abstürzten und sich der Börsenwert seines Unternehmens pulverisierte.

Womit wir nun wieder bei den von Wohlgemuth angesprochenen kleineren Ländern wären. Viel ist in den Wochen seit der US-Wahl und der erratischen Zollpolitik von Donald Trump über deren Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft gesagt und geschrieben worden. Im dritten Rezessionsjahr der heimischen Wirtschaft steht viel auf dem Spiel. Zu den nicht mehr konkurrenzfähigen Energiepreisen kommen die exorbitanten Lohnsteigerungen und jetzt die US-Zölle, die vor allem unseren High-Tech-Zulieferern massiv schaden werden. Industrievertreter packen nicht zum ersten Mal die Keule der Deindustrialisierung aus, wenn auch diesmal mehr als begründet. Noch wiegeln die Ökonomen ab, jonglieren mit Zahlen unter der Ein-Prozentpunkt-Marke, um die die Wirtschaft aufgrund der Zölle schrumpfen könnte. Dabei ist das beschriebene Gesamtpaket ein durchaus toxisches und im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten ein tatsächlich extrem standortgefährdendes.

Kärntens Industrie-Debakel

Lernen Sie Exportgeschichte!
Thomas Zeloth, Industriehistoriker und Leiter des Kärntner Landesarchivs, Foto: Studiohorst

Auch hier lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte. Zur Zeit des amerikanischen Sezessionskriegs Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Kärntens Industrie einen regelrechten Boom, wie der Industriehistoriker und heutige Leiter des Kärntner Landesarchivs, Thomas Zeloth, schreibt. Noch im Jahr 1830 stand Kärnten für 11 Prozent der Bergbauproduktion der gesamten Donaumonarchie sowie 38 Prozent der Roheisenproduktion (Quelle: Thomas Zeloth: Zwischen Staat und Markt. Geschichte der Bleiberger Bergwerksunion und ihrer Vorläuferbetriebe, Klagenfurt 2004, Seite 278). Kärnten war also bis zur großen Wirtschaftskrise im Jahr 1873, die Österreich besonders hart traf, ein regelrechtes Zentrum der industriellen Produktion Österreichs.

Aber der Erfolg bröckelte sukzessive. Innovationen wurden nur halbherzig durchgeführt und der Schritt in die Weiterverarbeitung fehlte. Dazu kamen Probleme in der Logistik. Kärnten geriet mit den sich gegenüber Österreich abschottenden angrenzenden italienischen Regionen zunehmend ins Abseits. Dazu kam, dass innerhalb der Monarchie starke Konkurrenz erwuchs. In Böhmen, Mähren und Schlesien profitierte man davon, dass die für die Stahlerzeugung nötige Kohle in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten abgebaut wurde und sich auch die Weiterverarbeitung dort konzentrierte.

Zauberlehrling der Zölle

Nicht zuletzt aufgrund der in der Krise 1873 taumelnden Aktienmärkte kippte die Stimmung gegen den Wirtschaftsliberalismus, wie er damals schon hieß. Der Direktor des Hochofens im damals noch zu Kärnten gehörenden Prävali (heute slowenisch Prevalje), Wilhelm Hupfeld, forderte 1875 vehement Schutzzölle ein und fand sich damit in bester Gesellschaft mit anderen Montan- und Agrarindustriellen (Zeloth, Seite 290f). Dazu wurden bis zum Jahr 1900 13 Kartelle im Eisen- und Stahlbereich etabliert, die Vereinbarungen über Preis, Produktion, Absatzgebiet und Kontingente trafen. Der größte Teil des Abbaus und der Verhüttung in Kärnten hat das 19. Jahrhundert aufgrund der ungünstigen Voraussetzungen trotzdem nicht überlebt. Daran konnten auch die „Schutzzölle“ nichts ändern. Nur die Bleiberger Bergwerksunion überlebte in nennenswerter Größe – einerseits, weil man innerhalb der Monarchie ohne Konkurrenz dastand, andererseits, weil man weitsichtig in die Weiterverarbeitung investiert hatte. Nachfolgebetriebe existieren – inzwischen ohne Bergbau – bis heute im Industriepark Arnoldstein.

Kärnten fiel zurück in einen wenig effizienten Agrarsektor, registrierte hohe Arbeitslosenzahlen und Abwanderung. Aber die Situation verschärfte sich im und nach dem Ersten Weltkrieg. Die Klagenfurter Ökonomin und Historikerin Andrea Ettinger hat in ihrer mehrfach ausgezeichneten Masterarbeit über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 auf die Kärntner Industrie („Industrie und Gewerbe in Kärnten im Banne der Weltwirtschaftskrise 1929“ ) u.a. die Jahresberichte der Handelskammer untersucht. Das liest sich heute wie ein stetiges Lamento über die Folgen der Friedensverträge von St. Germain, den Verlust traditioneller Absatzgebiete aber natürlich auch die Einschränkungen des Freihandels: „Noch ist der Schutzzollgedanke, der sogenannte Protektionismus, in den Nachbarstaaten ein viel zu lebendiger und auch die schätzenswerten Arbeiten der Internationalen Handelskammer, in welcher sich das österreichische Nationalkomitee eine beachtenswerte Rolle zu erobern verstand, hat bisher nicht den entsprechenden Wandel in den Auffassungen dieser Staaten schaffen können“ (Ettinger zitiert hier auf Seite 44 den Bericht von 1926).

Anschluss statt Freihandel

Die (Zoll-)Geister, die man rief, wird man nun nicht wieder los. Noch ist es ein Schwanken zwischen dem Einsatz für den Freihandel und dem nicht nur wirtschaftlichen Anschluss an Deutschland. Im Jahr 1929 hört sich das schon eher nach Einbahnstraße in Richtung Großdeutsches Reich an. Noch einmal wird ohne echte Überzeugung die europäische Zollunion beschworen. Aber der Anschluss ist in den Köpfen längst Realität – neun Jahre bevor er tatsächlich vollzogen wird:

„Auch in anderen Staaten die Einsicht sich langsam Bahn bricht, daß mit der bisherigen Zollpolitik unmöglich auf die Dauer weitergewirtschaftet werden kann und daß die europäischen Staaten unbedingt genötigt sein werden, gegenüber der amerikanischen Gefahr einen anderen Weg – den der gemeinschaftlichen Arbeit auf diesem Gebiete – einzuschlagen. Es sei hier auch des Schlagwortes ‚Paneuropa‘ gedacht, dem eine gewisse Berechtigung sicher innewohnt. Näher liegt aber selbstverständlich dem österreichischen Staate jener Schritt, der mit der Zeit kommen muß und der auch in jeder Weise vorbereitet wird, das ist der Anschluß an das deutsche Mutterland!“ (Bericht der Handelskammer 1929 zitiert nach Ettinger, S 154).

„Es sei hier auch des Schlagwortes ‚Paneuropa‘ gedacht, dem eine gewisse Berechtigung sicher innewohnt.“ Bericht der Handelskammer 1929

Der Rest ist Geschichte: Mit dem Anschluss wurde Österreich Teil der deutschen Kriegswirtschaft, des faschistischen, nationalsozialistischen Regimes und seiner Angriffskriege, die nach von Statista hier veröffentlichten Daten rund 70 Mio. Menschen das Leben gekostet haben.

Mercosur: Es gibt Alternativen

Es ist also wohl keine unzulässige Vereinfachung, wenn man im Freihandel nicht nur eine wichtige Basis des Wohlstands, sondern auch eine der Demokratie sieht. Umso wichtiger ist es daher, die durch die USA verursachten Ausfälle auf anderen Märkten zu kompensieren. Wirtschaftskammer-Kärnten-Präsident Jürgen Mandl setzt sich daher ebenso wie Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer für eine rasche Umsetzung des Mercosur-Abkommens der EU mit wirtschaftlich wichtigen südamerikanischen Staaten ein. Volkswirt Norbert Wohlgemuth bezeichnet den Widerstand der Agrarlobby in der aktuellen Situation als „Realitätsverweigerung“. Die EU-Landwirtschaft trug laut Institut der deutschen Wirtschaft 2022 1,4 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, kassierte aber laut Europäischer Kommission im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) rund ein Viertel des EU-Haushaltsbudgets. Abgesehen davon, dass Mandl entschieden darauf hinweist, dass die Forderungen der Landwirtschaft im aktuellen Entwurf des Abkommens längst weitgehend berücksichtigt seien (Info hier), versucht hier offenbar der Schwanz mit dem sprichwörtlichen Hund zu wedeln. Maximalforderungen der Landwirtschaft sind also völlig fehl am Platz.

Es geht um nicht weniger als die Rettung des technologisch-industriellen Komplexes und der Basis unseres Wohlstands. Direkt trägt die Industrie noch rund ein Drittel dazu bei, inklusive abhängiger Dienstleistungen mehr als die Hälfte, hat das Industriewissenschaftliche Institut vor einigen Jahren errechnet. Das ungünstige Umfeld und die – mit signifikanten Ausnahmen – massive Innovationsschwäche werden hier ohnehin einen massiven Umstrukturierungsprozess erfordern. Ein analog der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlittenes Zurückfallen Kärntens auf den Agrarsektor mit etwas Kleingewerbe und Tourismus wäre jedenfalls weder der Entwicklung des Wohlstands im Land zuträglich noch angesichts der Rekordschulden des Landes überhaupt möglich. Oder müssen wir wieder in einen „Anschluss“ taumeln, am Ende erneut unsere Demokratie gefährden? Radikal die Gesellschaft spaltende Ansätze gibt es auch hierzulande genug. In einem Szenario von Verarmung und Massenarbeitslosigkeit würden sie wohl schnell auf fruchtbaren Boden fallen.

M.U.T.iger

Das Projekt des neuen Hallenbads für die Landeshauptstadt bewegt sich – im Rückwärtsgang.

M.U.T.letter

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