Der Wirtschaftsstandort ist massiv in Gefahr. Da hilft es gar nicht, wenn die Opposition fahrlässig an den Grundpfeilern von Kärntens (Energie-)Zukunft rüttelt. Schon ohne die überflüssige Windkraftdebatte wachsen uns die Probleme über den Kopf.
Letzte Woche platzte Wirtschaftskammer-Kärnten-Präsident Jürgen Mandl der Kragen. Nachdem sich die Sozialpartner in einer Pressekonferenz ebenso klar wie einhellig gegen ein Verbot von Windkraft ausgesprochen hatten, versuchte Kärntens FP-Chef Erwin Angerer wieder zu zündeln: die Sozialpartner würden die Interessen von Energiekonzernen und Hedgefonds vertreten, anstatt sich um einen günstigen Strompreis zu bemühen. Windräder würden den Strompreis nach oben treiben, versuchte er seine Volksbefragung gegen die Windkraft in Kärnten zu verteidigen. Mandl griff ins Volle, warf ihm „parteipolitische Schauermärchen“ und „energiepolitischen Hokuspokus“ vor. Angerers Warnung vor höheren Strompreisen durch Windräder zeige „Bildungsdefizite“ auf. Preise würden nämlich durch Verknappung eines Guts steigen, durch ein vergrößertes Angebot aber sinken. Die Windkraft gehöre zu den günstigsten Erneuerbaren Energieträgern. Details hier
Dabei ist es ja prinzipiell nicht ganz unrichtig, was Angerer so behauptet. Tatsächlich steigt natürlich auch der Strompreis durch den verstärkten Eintrag von Erneuerbarer Energie. Was er „vergisst“ dazu zu sagen, ist, dass der Strompreis eben nicht durch die von Windrädern erzeugte Energie selbst, sondern durch die nötige Infrastruktur für Erneuerbare insgesamt steigt. Das trifft übrigens auf die Photovoltaik noch in weit höherem Maße zu als auf die Windkraft und wird zum Jahreswechsel wieder zu einer massiven Erhöhung der Netztarife führen. Die dezentrale Energieversorgung hat ihren Preis. Vor Jahrzehnten stützte sich die Energieversorgung noch auf ein paar große Kraftwerke – im Sommer Wasserkraft, im Winter Kohle, Öl und Gas. Heute speisen bereits tausende Haushalte und Betriebe Solarstrom ins Netz ein. Das verlangt eine deutlich andere und teurere Infrastruktur. Dafür zahlen wir jetzt.
Drill, Baby drill!
Aber gibt es eine Alternative? Angerer würde sich wohl gerne wie Donald Trump hinstellen und seinen begeisterten Fans zurufen: „Drill, baby drill!“ Also: Bohre, Baby bohre! Gemeint ist damit natürlich das vermehrte Bohren nach Öl und Gas bzw. dessen billige Nutzung für Wirtschaft und Haushalte. Dass man sich damit kurzfristig Wettbewerbsvorteile verschafft, ist unbestritten. Aber ist zumindest in Europa nicht längst der Zug in Richtung Klimaschutz und Green Deal abgefahren?
Ganz nebenbei: Es ist schon eine seltsame Allianz, die sich gegen die Windkraft in Kärnten verschworen hat. Auf der einen Seite eine Protest- und Polarisierungspartei, die ein Klientel der Leugner des menschengemachten Klimawandels bedient, auf der anderen Seite Alpenverein und Naturschutz, die im Wirtschaftswachstum an sich das Problem sehen. Wie geht das zusammen?
Tatsächlich sind mit unzähligen Gesetzen und Verordnungen zur Erreichung der vereinbarten Klimaziele längst die Weichen in Richtung einer CO2-neutralen Wirtschaft und Gesellschaft gestellt. Und man kann der noch amtierenden Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie untätig gewesen wäre. Immerhin gibt es einen integrierten Österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP), in dem nicht nur die Erfordernisse des Netzausbaus nach Bundesländern verankert sind, sondern auch jene der Energieerzeugung. Und da ist die Windkraft in Kärnten mit einer Kapazität von 1,6 Terwattstunden bis 2040 vorgesehen. Das entspräche jedenfalls über 100 Windrädern im Land. Die noch nicht vorliegende Kärntner Energiestrategie wird wohl zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.
Wie notwendig der Ausbau insgesamt ist, untermauert nicht nur der ÖNIP, der bis 2040 von einer Verdopplung des Stromverbrauchs ausgeht. Auch eine aktuelle Studie der Industriellenvereinigung in Kooperation mit der Kelag (begleitet von COMPASS LEXECON) kommt für die energieintensive Industrie zu einem ähnlichen Ergebnis. Der Stromverbrauch werde sich hier durch eine massive Elektrifizierung der Prozesse auf 2.800 Gigawattstunden verdoppeln, die Nachfrage nach Wasserstoff, für dessen Transport noch keine adäquate Infrastruktur zur Verfügung steht, auf 1.000 Gigawattstunden steigen.
Klar ist jedenfalls, dass Kärnten noch weit von einer echten Energieautarkie entfernt ist. Schon derzeit erreichen wir dank Wasserkraft nur eine bilanzielle Autarkie. Im Sommer produzieren wir mehr als wir brauchen, im Winter massiv zu wenig (30 bis 40 Prozent der benötigten Menge). Um weiteres Wirtschaftswachstum und Wohlstand sichern zu können, wird also noch einiges zugebaut werden müssen. Auf (Atom-)Stromimporte allein werden wir uns nicht verlassen können. Bis in die letzte Konsequenz durchgedacht ist die proklamierte Klimawende nicht, wenn man die weiterhin schleppenden Genehmigungsverfahren vor allem im notwendigen Ausbau der Netze oder von Eneuerbaren Kraftwerken berücksichtigt.
Das große Experiment
Was uns in Europa aber noch schlimmer belastet, ist unser Alleingang. Während sich China und die USA, die zwei weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen, trotz Erneuerbarem-Ausbau bei der fossilen Wirtschaft praktisch keinerlei Einschränkungen auferlegen, hat Europa das große Experiment des Vorreiters beim Klimaschutz am Laufen. Mit ungewissem Ausgang.
Wer am 11. November beim 2. Kärntner Wirtschaftsgespräch an der Uni Klagenfurt teilgenommen hat, dem wurde schon etwas mulmig. Prof. Oliver Holtemöller von der Uni Halle referierte zum Thema „Wachstumsclubs und Entwicklungsfallen“. Sein ernüchternder Rundumblick thematisierte die viel zu hohen Industriestrompreise in Europa (im Schnitt ca. dreimal so hoch wie in den USA), die schwächelnde Produktivität, die mangelnde Marktkapitalisierung der Unternehmen und deren lähmende Innovationsschwäche. Er sieht vor allem die Autoindustrie derzeit sehr kritisch. Die ist ja nicht nur die regionale Verankerung in Deutschland, ein massiver Anteil der österreichischen Exporte nach Deutschland hängt an der Zulieferindustrie. Holtemöller fürchtet, uns könnte die starke Mitte der Produktion einbrechen.
Nicht ganz zu unrecht: die angestrebte Energiewende dreht genau an den Preisschrauben, die unsere Autoindustrie derzeit aus dem Markt preisen. Hat sich irgendwer überlegt, was danach kommen könnte? Halbherzige Initiativen wie der European Chips Act, um High-Tech-Forschung und Industrie in der Elektronik zurückzuholen oder neu zu starten, sind unterdotiert und treffen auf einen unterentwickelten Kapitalmarkt. Wie soll das funktionieren?
Kärnten, Österreichs Osteuropa
Dazu gefährdet die Überalterung der Bevölkerung und sinkende Zahl an Personen im erwerbsfähigen Alter den Standort Europa. Wir bewegen uns hart an der technologischen Grenze dessen, was heute machbar ist. Je näher die Unternehmen ihr kommen, desto mehr Innovation sei gefragt und desto qualifizierteres Personal, war man sich beim Kärntner Wirtschaftsgespräch einig. Holtemöller sieht deshalb etwa auch die Konvergenz (das einander Näherkommen) in der europäischen Entwicklung abnehmen. Aus Osteuropa und aus peripheren Zonen sind schon so viel gut Qualifizierte abgewandert, dass die betroffenen Regionen deutlich zurückfallen. Ihnen fehlt, wie man neudeutsch sagt, schlicht die Humanressource.
Zu einem gewissen Grad trifft das auch für Kärnten zu. Prof. Norbert Wohlgemuth von der Uni Klagenfurt rechnet vor, dass die Binnenwanderung seit dem Jahr 1996 ein Minus von 30.000 Personen aufweist, die innerhalb Österreichs mehr weg- als zugezogen sind. Das Economica Institut (Christoph Schneider) hat sich hingegen auch die kompletten Wanderungsbilanzen der letzten Jahre angesehen. Sein Fazit: Junge, gut ausgebildete Menschen wandern u.a. zum Studieren ab. Vorsichtig formuliert eher problematisch Qualifizierte vor allem aus Syrien und Afghanistan gleichen die negative Bilanz einigermaßen aus.
Die Landesregierung hat zwar begonnen, mit Standortmarketing und Arbeitskräfteagentur gegenzusteuern. Bis das seine volle Wirkung entfalten kann, wird es aber noch dauern. Vor allem, weil viele Voraussetzungen fehlen: Betriebe, die auf fremdsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt sind, leistbare Wohnungen, Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen etc. Die hohen Schulden und die engen budgetären Rahmen sind hier auch nicht gerade hilfreich.
Klimawende noch mehrheitsfähig?
Kärntens ökonomische Performance ist jedenfalls im zweiten Rezessionsjahr alles andere als dynamisch. Das Economica-Institut hat sich die Entwicklung des Produktionsindex genauer angesehen. Nur hier liegen Zahlen bis Mitte des Jahres 2024 vor. Da sieht man, dass Kärntens produzierender Sektor eigentlich sehr gut aus der Pandemie gekommen ist. Im Frühjahr 2022 setzte dann mit der Energiekrise der Abwärtstrend ein, der mit einigen kurzen Erholungsphasen schließlich dazu führte, dass die Industrieproduktion wieder auf das Niveau vom Jänner 2021 zurückgekehrt ist. Stagnation nennt man das.
Der Teufelskreis aus Energiepreiserhöhungen, Inflation, exorbitant steigenden Lohnkosten und weiter sinkender Wettbewerbsfähigkeit droht nun aufs Neue entfacht zu werden, wenn zum Jahreswechsel die Strompreise um kolportierte 40 Prozent zu steigen drohen und die Stromkostenbremse ausläuft. Kein Wunder, dass E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch bereits laut über eine Verlängerung nachdenkt, außerdem über das weitere Aussetzen von die Energie betreffenden Abgaben und Steuern.
Aber wie lange werden wir uns die Subventionen in die klimafreundliche Transformation einer Wirtschaft noch leisten können, die sich im schärferen Wind des Wettbewerbs immer schwerer behaupten kann? Oder überspitzt anders gefragt: Unterspült die Klimawende nicht längst die Fundamente unseres Wohlstands? Ist sie ähnlich wie in den USA bald nicht mehr mehrheitsfähig?
Der Ausbau der Windkraft ist ein wichtiger Teil eines zukünftigen Erneuerbaren Energiemix für Kärnten, um Haushalten und Wirtschaft vor allem auch im Winter ausreichend elektrischen Strom zur Verfügung stellen zu können. Gegen die von der FPÖ initiierte Volksbefragung, die den Ausbau von Windkraft auf Bergen und Almen verhindern will, stemmt sich die Initiative „Nein zum Windkraftverbot“. Informationen und Argumente von vielen prominenten und weniger prominenten Kärntnerinnen und Kärntnern finden Sie hier