Nach 24 Jahren Innovationserfahrung und mit fünf internationalen Bestsellern in sieben Sprachen in der Tasche zog es Mario Pricken nach Villach. Der Neo-Kärntner und Innovations-Experte stellt sich im exklusiven Interview den sehr kontroversen und provokanten Fragen von M.U.T.-Chefredakteurin Isabella Schöndorfer zum Thema „Kreativität & Innovation“.
M.U.T.: Innovation ist ein sehr strapaziertes Wort, das spätestens mit KI-gestützter Textgenerierung seinen letzten Weg angetreten hat. Was braucht es stattdessen in einer Welt, in der es scheinbar bereits alles gibt?
Mario Pricken: Charles H. Duell, der Leiter des US-Patentamts, soll vorgeschlagen haben, das Patentamt zu verkleinern und schließlich ganz zu schließen, da seiner Meinung nach „alles, was erfunden werden kann, bereits erfunden wurde.“ Das war im Jahr 1899. Ich vermute, dass es durch KI in Bereichen wie Medizin, Robotik, Astrophysik und anderen wissensintensiven Feldern jetzt erst richtig losgeht. Wo sich die Innovationskraft allmählich erschöpft, sind jene Bereiche, die sich Menschen auch mit etwas weniger hochspezialisiertem Wissen erschließen können. Ich denke da beispielsweise an die Creative Industries: etwa Grafikdesign, Packaging, Fotografie oder die Komposition populärer Musik. Diese Bereiche mittlerer Komplexität werden von Künstlicher Intelligenz erbarmungslos in die Zange genommen – sie wird diese Berufsbilder grundlegend verändern. Was den Menschen aus meiner Sicht bleibt, ist die Freiheit zum Mut, normbrechend zu denken. Denn was wir zunehmend beobachten, ist, dass beinahe alle großen KI-Modelle massiv zensuriert werden. Aus Angst, dass sie halluzinieren und somit falsche Ergebnisse liefern, werden sie bereits jetzt so stark reguliert, dass die Ergebnisse oft erstaunlich klischeehaft und unkreativ sind.
Was gilt in einer Welt, die täglich lauter wird, in der jene gewinnen, die am meisten auffallen, ja aus dem Rahmen fallen, heute noch als kreativ?
Die Welt ist überbevölkert von Ideen. Doch was auffällt, ist, dass inzwischen nicht mehr alles erlaubt ist. Vor allem bei der jüngeren Generation werden gewisse Ideen nicht gerne gesehen. Denken Sie nur einmal an den Kreativbereich der Comedy: Sehen Sie sich eine Harald-Schmidt-Show aus dem Jahr 2004 an und sagen Sie mir, welche seiner Pointen heute im öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch durchgehen würden. Ich habe kürzlich ChatGPT testweise gebeten, ein Bild einer Frau zu erstellen, die in der Nase bohrt. Ich wurde von der Maschine freundlich, aber unmissverständlich darauf hingewiesen, dass dies den Richtlinien widerspricht und daher nicht ausgeführt wird. Sagen Sie mir, was an einem solchen Bild verboten, diskriminierend oder ungesetzlich sein soll? Es gibt unzählige weiterer solcher Zensurbeispiele. Vielleicht laufen wir Gefahr, in den kommenden Monaten und Jahren in den belanglosen, harmlosen und angepassten Ideen zu ersaufen, die die KIs dieser Welt am Fließband produzieren. Mehr als 300 Innovationsworkshops haben mir gezeigt, dass die besten Ideen immer dann entstehen, wenn man Grenzen überschreitet, Normen bricht, Regeln massiv aushebelt und Dinge sagt, die man eigentlich nicht sagen darf. Selbstverständlich sollte dies immer in einem geschützten Rahmen, einem sogenannten Ideenlabor, geschehen.
Braucht jedes Produkt tatsächlich einen Mehrwert? Kann es nicht einfach nur es selbst sein, seinen singulären Zweck erfüllen?
Dass Produkte, die unsere alltäglichen Grundbedürfnisse erfüllen, sehr erfolgreich sein können, zeigen die sogenannten Handelsmarken. Supermarktketten beobachten die neuesten Produkte aus den Innovationsabteilungen der Markenhersteller in ihren Regalen – schließlich ist niemand näher am Kunden dran als sie – und wenn das neue Produkt tatsächlich funktioniert, wird es als Handelsmarke einfach kopiert. Genial: Kein Innovationsaufwand, kein Markenaufbau und mit der Marktmacht des Gatekeepers am Regal erntet man die Früchte! Die Folgen für den Mittelstand unter den Markenherstellern sind katastrophal. Etwas anders verhält es sich derzeit noch mit Prestige- und Lifestyleprodukten. Hier geht es auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für die Kunden um mehr als nur die Funktion; die Marke hat hier die Aufgabe das Produkt mit einem zusätzlichen Wert aufzuladen, der auf den Besitzer in positiver Weise abstrahlt. Der Nutzer gewinnt an Prestige, er wird zum Teil einer Haltung oder einer gewissen Gemeinschaft. Marken auf diese Weise aufzuladen, wird aber zunehmend schwieriger und kostenintensiver. Hier gilt: Wer den Mut zeigt von der Norm abzuweichen und es nicht allen recht machen zu wollen, kann immer noch Erfolg haben.
Wieso brauchen wir KI, um kreativ zu sein?
Ich arbeite seit 1999 mit internationalen Kreativteams aus Werbung, Marketing, Medien und Design. Sie werden es nicht glauben, einige sind in Routinen gefangen, die sie kreativ lähmen. Andere brauchen Stunden, bis sie sich vom Tagesgeschäft oder einengenden Kundenbriefings befreien, um endlich in einen kreativen Modus zu gelangen. Wir haben vor zwei Jahren begonnen für KIs wie ChatGPT oder Claude ausgeklügelte Kreativmethoden zu entwickeln, mit denen wir innerhalb von Minuten unglaublich spannende Rohideen entwickeln, die den Kreativteams als Sprungbrett zu großartigen Lösungen dienen. Auf diese Weise haben wir den Zeit- und Personalaufwand für übliche Innovationsprozesse fast halbiert! Ich möchte auf die KI als Ideenmaschine nicht mehr verzichten. Dabei spreche ich nicht von kreativen Texten oder Bildern sondern von Konzeptideen und Innovationen.
Sie haben erwähnt, dass Sie in den kommenden Wochen einen exklusiven KInnovation-Club ins Leben rufen wollen. Was hat es damit auf sich, und warum liegt Ihnen der regionale Bezug zu Kärnten so am Herzen?
Dieser KInnovation-Club soll aus maximal acht Teilnehmern aus den Bereichen Produktentwicklung, Innovation oder Marketing bestehen. Wesentlich ist für mich: Kostet nix, außer dass sich die Mitglieder aktiv in die gemeinsame Entwicklung von KI-gestützten Innovationsprozessen einbringen – natürlich auf entspannt spielerische Weise. Da ich im Juli von Klosterneuburg nach Villach gezogen bin, möchte ich dieses Angebot unbedingt auf Unternehmen in Kärnten beschränken. Es würde mich begeistern, für diesen Club C-Level-Mitarbeiter sowie ausgewiesene Experten aus sich ergänzenden Branchen zu gewinnen. Schön wäre es natürlich auch, wenn sie bereits KI-Erfahrung mitbringen – schließlich möchte ich ja auch noch etwas lernen. Aufnahmeanfragen in den KInnovation-Club werden ab 01. Oktober entgegengenommen!