Schon im Jahr 2022 standen wir knapp vor Stromabschaltungen. Mit der in Frage gestellten sicheren Versorgung sind aber auch die Preise explodiert. Falsch angepackt kann die Energiewende zur gefährlichsten Bedrohung des Wirtschaftsstandorts zu werden.
Klingt eigentlich ziemlich harmlos das Wort „Energiemangellage“. Ist es aber nicht. Als Behörden, Kärntner Energieversorger, ausgewählte Großverbraucher, Katastrophenschutz, Bundesheer, Einsatzorganisationen & Co im Spätherbst 2022 unter dem Motto „Combined Success“ das letzte Mal den Ernstfall probten, ahnten wenige, wie konkret die Gefahr bereits war – die Gefahr von zu wenig Strom im Netz. Darauf folgen laut Bundesverordnung im ersten Schritt bloß der Aufruf, Strom zu sparen, im zweiten aber die Abschaltung von Großverbrauchern, im dritten sogar Flächenabschaltungen aller Stromverbraucher in abwechselnd zwei Zonen. Die Pläne dafür liegen fix und fertig in der Schublade. Und nein, wir reden nicht von notorisch unterversorgten Regionen in Afrika, wir reden von Kärnten!
Wie konnten wir in eine derart prekäre Situation kommen? Das Jahr 2022 war für die Energieproduktion schwierig. Ohne zu weit auszuholen: Ganz Europa sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass aufgrund der Trockenheit zu wenig Strom produziert wurde. Am schlimmsten wirkte sich aus, dass die französischen Atomkraftwerke, laut der NGO „Clean Air Task Force“ (CATF, in diversen europäischen Lobbying-Registern eingetragen) gerade einmal auf 40 Prozent ihrer normalen Leistung kamen. Sie sind aber zusammen mit den Reaktoren in anderen EU-Ländern für die Deckung von etwa einem Viertel des Stromverbrauchs der Union zuständig (Details hier)
Energiepreise treiben Inflation
Dazu kam die von Russland bewusst als Reaktion auf die westliche Unterstützung der Ukraine herbeigeführte Gasknappheit, die schon zuvor auch die Strompreise hatte explodieren lassen. Der Grund: Man wollte in der EU partout am so genannten „Merit-Order“-Prinzip festhalten. Das bedeutet, dass jenes (teuerste) Kraftwerk, das gerade noch benötigt wird, um den Energieverbrauch zu decken, den Strompreis bestimmt. In Österreich mit seiner hohen Abhängigkeit von russischem Gas ein Monster-Problem, zumal sich daran bis heute nichts geändert hat.
Denn auch abseits der in Frage gestellten sicheren Versorgung führten die hohen Energiepreise zu einer regelrechten Kettenreaktion, die sich in massiv über dem EU-Schnitt liegenden Teuerungsraten manifestierte. Dann kamen in gefährlich logischer Konsequenz für den kleinen Gewerbebetrieb genauso wie für die große Industrie ruinöse Lohnrunden. Entsprechend hoch türmt sich die Insolvenzwelle auf. Von der schleichenden Abwanderung großer energie- und wertschöpfungsintensiver Betriebe gar nicht zu reden! In internationalen Wettbewerbs-Indices befindet sich die Alpenrepublik im freien Fall. Die Wirtschaftsforscher warnen: Es wird immer weniger investiert! Das Land befindet sich in einer hartnäckigen Phase der Rezession.
Netzinfrastrukturplan soll es richten
Aber zurück zum Kernproblem einer sicheren und dabei leistbaren Energieversorgung. Wie viele Hoffnungen wurden nicht in die Energiewende gesetzt? Die Europäische Kommission hat im Jahr 2019 den so genannten „Green Deal“ proklamiert. Bis 2050 soll die gesamte Union klimaneutral sein, also keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr emittieren, oder sie zumindest ausgleichen. Gar nicht so einfach, wie sich im Laufe der Jahre herausgestellt hat. Die Ausbaupläne für Erneuerbare Energie und die notwendigen Netze hinken meilenweit hinterher. Schlimmer noch: In den meisten Ländern tappt man nach wie vor im Dunkeln, welchen Beitrag man hier eigentlich leisten muss, um das System überhaupt am Laufen zu halten.
Da ist Österreich schon etwas weiter. Hinter dem unbeholfenen Kürzel ÖNIP verbirgt sich die sperrige Bezeichnung „Integrierter Österreichischer Netzinfrastrukturplan“ des Klimaministeriums. Er beschreibt nicht nur den Status quo der Energieversorgung, sondern er gibt auch ungefähr den Pfad vor, wie sich der Energiemix, heruntergebrochen auf die Bundesländer, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern soll (Quelle hier).
Im Winter erzeugt Kärnten zu wenig Strom
Sehen wir uns zunächst einmal folgende Grafik an. Sie gibt Auskunft darüber, wieviel Strom in welchen Bundesländern erzeugt wurde. In Kärnten, aber auch in Tirol, Salzburg und Vorarlberg ist der extrem hohe Anteil der Wasserkraft auffällig. In der zweiten Grafik ist der Stromverbrauch der Erzeugung gegenübergestellt. Hier fällt wiederum auf, dass in den beiden industriestärksten Bundesländern Oberösterreich und Steiermark deutlich mehr Strom verbraucht als erzeugt wird. In Kärnten hält sich das ungefähr die Waage. Das Burgenland erzeugt deutlich mehr Strom als es verbraucht, was vor allem dem massiven Windkraftausbau zu verdanken ist.
Immer wieder haben die ehemalige Energiereferentin des Landes, Sara Schaar (SPÖ), aber auch Spitzenvertreter der FPÖ auf diese vermeintlich ausgeglichene Energiebilanz Kärntens hingewiesen. Leider handelt es sich aber lediglich um eine „bilanzielle“ Energieautarkie des Bundeslands. „Bilanziell“ heißt in dem Fall „über ein ganzes Jahr gerechnet“. Sieht man sich nämlich die Verteilung der Energieerzeugung nach Jahreszeiten an, dann ergibt sich ein völlig anderes Bild. Der ÖNIP weist hier leider nur die Grafik für ganz Österreich aus, aber das Bild spricht Bände:
Die Wasserkraft reichte in den Sommermonaten des Jahres 2021 österreichweit für rund 80 Prozent des Stromverbrauchs, sackte aber im Dezember und Jänner auf nur noch 30 Prozent ab. Im Winter produzieren die erneuerbaren Energiequellen lediglich rund 40 Prozent des Stroms, der verbraucht wird. Fossile Energie und vor allem massive Stromimporte sind daher unumgänglich. In Bundesländern mit deutlich höherem Wasserkraftanteil (wie in Kärnten) ist die Situation natürlich entsprechend schwieriger.
Energiewende-Gesetz beschlossen
Auffällig ist aber auch, dass die Erzeugungskapazitäten der Windenergie gerade im Winter beträchtlich sind. Es liegt daher auf der Hand, dass in Bundesländern, die sich der Windenergie bisher verweigert haben, dringend Potenziale auf geeigneten Flächen ausgewiesen und umgesetzt werden sollten. Die Photovoltaik (PV) leistet in Kärnten noch einen bescheidenen Beitrag zur Stromversorgung und der wächst weniger stark als in anderen Bundesländern, kritisierte der Bundesverband Photovoltaik Austria und liege zudem deutlich unter den vom Bundesministerium vorgegebenen Zielen.
Nicht nur deshalb hat die Kärntner Landesregierung auf Initiative der ÖVP, die ja auch die zuständigen Ressorts Energie und Raumordnung verantwortet, im März ein „Energiewendegesetz“ und eine neue PV-Verordnung vorgestellt. Ziel dieser im Juni beschlossenen Sammelnovelle diverser Gesetzesmaterien ist es, bürokratische Hürden beim Ausbau der Erneuerbaren abzubauen. Das Ermöglichen von Projekten stehe nun im Fokus, betont Wirtschaftslandesrat Sebastian Schuschnig. Erleichtert bzw. teilweise genehmigungsbefreit wird etwa PV auf Frei- und Grünflächen. (Details hier).
Stromverbrauch wird um 90 Prozent steigen
Im Rahmen der parallel gestarteten Energiestrategie für Kärnten, in die alle wichtigen Stakeholder eingebunden sind – von den Energieversorgern über die Netzgesellschaften bis zu Institutionen – werden dann auch die Voraussetzungen für politisch heiklere Themen wie den Windkraftausbau geschaffen. Basis dafür ist der ÖNIP, der wiederum auf dem Erneuerbaren Ausbau Gesetz (EAG) fußt, das eine gewaltige Transformation der heimischen Energieversorgung einläutet. Allein der Stromverbrauch, der bis 2040 um 90 Prozent (!) auf 133 Terawattstunden wachsen soll, wird eine riesige Herausforderung. Denn vorgesehen ist auch, dass der Strom dafür schon bis 2030 zumindest bilanziell zu 100 Prozent und erneuerbar im Inland erzeugt wird. Die PV-Erzeugung wird versiebenfacht, die Windkraft verdreifacht, die Wasserkraft nur einen moderaten zusätzlichen Beitrag leisten, weil die Ausbaupotenziale überschaubar sind.
Kärnten ist also gefordert. Der ÖNIP bleibt zwar ziemlich vage, wie die Ziele erreicht werden sollen, konkrete Zahlen findet man aber schon: Bis 2030 nimmt der ÖNIP in Kärnten eine jährliche PV-Erzeugung von 1,7 Terawattstunden an, bis 2040 eine von 3,6 Terawattstunden, bei Windkraft eine von 1,1 (2030) bzw. 1,6 Terawattstunden (2040). Letzteres entspräche je nach Leistung der einzelnen Anlagen jedenfalls einer niedrigen dreistelligen Größenordnung von neuen Windrädern im Land.
Standort in Gefahr
Viel spannender ist aber die Frage, wie sich das etwa auf die energieintensiven Betriebe auswirken wird. Von der Chlor-Elektrolyse bis zur Korundschmelze, von der Gesteinsmühle bis zum Brennofen für Feuerfestprodukte oder Zement. Während die einen unter steigenden Strompreisen stöhnen, sehen die anderen ihre wichtigste Energiequelle, nämlich Erdgas, schwinden. Im ÖNIP sind für ganz Österreich bis 2040 zur teilweisen Substitution von Erdgas Kapazitäten von immerhin 9 Terawattstunden Wasserstoff/Biomethan vorgesehen. Wo die erzeugt, bzw. – noch brisanter – wie die zu den Abnehmern transportiert werden sollen, steht in den Sternen. Wasserstoff ist flüchtiger als Erdgas und braucht daher andere Leitungen. Von den noch ungelösten technologischen Herausforderungen ganz zu schweigen.
Ein nicht ganz unwahrscheinliches Szenario ist daher, dass sich bis dahin wegen der unsicheren Versorgungslage und noch unsichereren Zukunftsperspektiven Teile der relevanten Industrien aus Kärnten verabschieden. Schon jetzt sinkt hier der Energieverbrauch, was den Schluss zulässt, dass Produktionskapazitäten verlagert werden. Damit wird zwar das Bundesland vielleicht grüner aber auch an Wertschöpfung und Wohlstand ärmer. Bundes- und Landesregierungen werden also sehr genau darauf schauen müssen, dass entsprechende Förderinstrumente wie jener zur Transformation der Industrie auch tatsächlich wirken.
Die schon angesprochene Kärntner Energiestrategie hingegen muss alles berücksichtigen: die Bedürfnisse der Verbraucher von der großen Industrie über die kleinen Gewerbetriebe bis zu den Haushalten. Dazu die Erzeuger im Land und außerhalb, das unglaublich komplexe nationale und internationale Energiesystem. Dessen Netze sind übrigens bei weitem noch nicht auf die Herausforderungen der zunehmend schwankenden und dezentralen Energieproduktion der Erneuerbaren eingestellt. Es wird unheimlich viel Fingerspitzengefühl verlangen, da einen Mittelweg zwischen hehren Zielen einer Energiewende und dem Erhalt des Wirtschaftsstandorts zu finden.
Dazu demnächst mehr, wenn hoffentlich im Herbst die ersten Konturen der geplanten Energiestrategie sichtbar werden.