Kärntens Exportstatistik rutscht ins Bedrohliche. Das noch erfreuliche Plus in der Handelsbilanz könnte im internationalen Handelskrieg ein letztes Strohfeuer gewesen sein.
Glücklich waren weder Wirtschaftskammer-Kärnten-Präsident Jürgen Mandl noch die Leiterin der Abteilung Außenhandel, Hemma Kircher-Schneider, als sie kürzlich die Zahlen für das erste Halbjahr 2024 präsentierten. Der Wert der Exporte übertraf jenen der Importe um 769 Mio. Euro. Das könnte für das Gesamtjahr 2024 noch einmal deutlich mehr als eine Mrd. Euro ergeben. Ein strahlender Erfolg also? Leider nur bedingt! Denn schaut man etwas genauer ins Zahlenwerk, dann offenbart sich ein Minus bei den Exporten von 4,6 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2023. Noch deutlicher stürzten allerdings die Importe ab. Sie gingen um empfindliche 9,2 Prozent zurück. Eh super, werden Sie jetzt vielleicht denken, ist doch ein Zeichen für eine gesunde Wirtschaft, wenn wir immer weniger importieren?
Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Ein großer Teil der Kärntner Importe sind Vorprodukte, in die heimische Unternehmen investieren, um die Produktionskapazitäten zu erweitern, ihre Effizienz zu steigern, sich durch innovative Verfahren wettbewerbsfähiger zu machen. Kurz: die Importe sind wichtiges Stimulans für die Exporte der Zukunft. Investieren die Unternehmen weniger, bleiben in den kommenden Jahren entsprechende Ausfuhrerfolge aus. Eine hoch gefährliche Entwicklung, die zunächst einmal mit der hartnäckigen Rezession zu tun hat. Die Kärntner Wirtschaft ist im Jahr 2023 um 1,5 Prozent geschrumpft (Bruttowertschöpfung real), im Jahr 2024 um ein Prozent (Quelle: KIHS Konjunkturreport).
Exportwunder in China
Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass man nicht ungestraft Energiepreise durch die Decke schießen lässt, damit die Inflation befeuert und im internationalen Vergleich viel zu hohe Lohnsteigerungen verursacht. Österreich und Kärnten befindet sich damit europaweit in schlechtester Gesellschaft der Standorte, die ihre Kosten am wenigsten im Griff haben und daher am schnellsten an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Was für ein Pech, dass sich unter den Kellerkindern der europäischen Wirtschaft ausgerechnet Kärntens wichtigster Handelspartner Deutschland befindet, wo es vor allem in der Autoindustrie massiv kriselt. Die Exporte dorthin gingen im ersten Halbjahr 2024 um 6,2 Prozent auf 1,370 Mrd. Euro zurück. Mit einem Anteil von 29 Prozent bleibt das Land zwar weiter Kärntens wichtigste Exportdestination. Dieser Anteil lag aber früher mal über 40 Prozent.
Auch im übrigen Europa verlieren wir deutlich an Boden. Die Exporte nach Frankreich gingen um 19 Prozent zurück, jene in die Schweiz fast um 18 Prozent. Erfreulicher Ausreißer ist hingegen China, das mit einem Exportvolumen von 517 Mio. Euro an die zweite Stelle aufrückte, noch vor Italien. Das gewaltige Plus hier: 118,4 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2023. Daraus kann man übrigens zweierlei lernen: Ist man im High-Tech-Sektor nur innovativ genug, dann kann man auch mit katastrophalen Kärntner Kostennachteilen auf internationalen Märkten punkten. Leider trifft das aktuell nur auf eine Handvoll Betriebe etwa im Dunstkreis der Elektronik zu, die allerdings gewaltige Volumina zu stemmen imstande sind, wie die Statistik zeigt. Alle übrigen Betriebe werden sich wohl nach der Decke strecken müssen.
Exportoffensive ausgebaut
Gut, dass Wirtschaftskammer (Präsident Jürgen Mandl) und Land Kärnten (Wirtschaftslandesrat Sebastian Schuschnig) beim Exportgipfel Anfang Jänner einen Ausbau der Exportoffensive angekündigt haben. Das Förderpaket aus gemeinsamen Messeauftritten und Wirtschaftsmissionen vor allem in Hoffnungsmärkten wie USA und Asien wird um 200.000 Euro auf eine Mio. Euro aufgestockt. Mandl bezeichnet die Anstrengungen als „Marathon“. Erste Erfolge würden sich nämlich erst nach Jahren einstellen. Zur weiteren Unterstützung zweifellos wichtig wäre die Ratifizierung von Freihandelsabkommen wie Mercosur, betont nicht nur Mandl, sondern vor allem die Industrie, die dringend Ersatz für wegbrechende europäische Märkte sucht. Denn nicht nur rund die Hälfte der Beschäftigten in Kärnten hängt am Export, auch mehr als die Hälfte von Wertschöpfung und Wohlstands hängen laut Industriewissenschaftlichem Institut IWI an einer exportstarken Industrie.
Schwanz wedelt mit Hund
Umso mehr verwundern die wütenden Proteste der Landwirtschaft. Mercosur, der Deal der EU mit vier der wichtigsten Staaten Südamerikas, ist seit Dezember unter Dach und Fach. Jetzt versucht unter anderen die Landwirtschaft die Ratifizierung in den Nationalstaaten zu torpedieren. „Dieses Freihandelsabkommen ist eine Frechheit!“, ereiferte sich Kärntens Präsident der Landwirtschaftskammer, Siegfried Huber, in einer Aussendung. Während heimische Bauern mit immer mehr Auflagen geknebelt würden, bekomme die Agrarindustrie aus Übersee Zugang zum EU-Markt.
Aber: Erstens dürfen auch nach Ratifizierung nur solche Produkte aus Drittstaaten in die EU gelangen, die den hier geltenden Produktsicherheitsstandards entsprechen. Zweitens ergeben sich riesige Exportchancen für die heimische Landwirtschaft, die derzeit in Südamerika von hohen Importzöllen behindert wird. Drittens ist nicht einzusehen, dass ein Wirtschaftszweig wie die Landwirtschaft, die in Kärnten 2022 nur 1,78 Prozent, in Österreich gar nur 1,55 Prozent zur Wertschöpfung beigetragen hat (Quelle: Statistik Austria), den Löwenanteil der Wirtschaft blockiert. Es sei in dem Zusammenhang daran erinnert, dass nicht wenige im Nebenerwerb tätige Landwirte ihr Brot eigentlich in der internationalen Industrie verdienen. Fazit: Hier versucht der sprichwörtliche Schwanz mit dem Hund zu wedeln.
Renaissance des Kolonialismus
Die wirtschaftliche Lage wird für exportabhängige Volkswirtschaften wie Österreich oder Kärnten ohnehin immer ungemütlicher. Der Wirtschaftsforscher des KIHS, Norbert Wohlgemuth, sieht in seinem aktuellen Konjunktur-Report einen neuen „Merkantilismus“ sich etablieren. Gemeint ist damit nicht weniger als die brutale Wirtschafts- und Handelspolitik von Kolonialmächten. Der Staat mischt sich massiv in die Wirtschaft ein, indem er die positive Handelsbilanz durch Strafzölle verteidigt, (von der Rüstung bis zu den Chips) strategische Industrien schützt oder wenn es sein muss, auch subventioniert, schließlich die Selbstversorgung mit wichtigen Rohstoffen sichert.
Das hat China über Jahrzehnte – und von der übrigen großteils nach wie vor vom freien Handel überzeugten Wirtschaftswelt – vorexerziert, jetzt schlagen die USA zurück. Wer in letzter Zeit US-Wirtschaftsmedien aufmerksam liest, dem wird auffallen, dass der längst tobende Handelskrieg demnächst um einen Währungskrieg erweitert werden könnte. Gillian Tett von der normalerweise gut informierten Financial Times sieht Donald Trumps Vasallen in dessen Hauptquartier Mar-a-Lago an einem neuen Bretton-Woods-Abkommen basteln. Zur Erinnerung: Dabei handelte es sich um ein 1944 geschlossenes Abkommen, das – einfach gesagt – die monetären Paritäten, also die Wechselkurse zwischen den Währungen etlicher Staaten fixierte. Die USA wollen nun offenbar mit der Macht ihrer Leitwährung im Rücken im Handstreich das internationale Währungssystem „reevaluieren“, wie sich Tett ausdrückt. Der Sinn: ein künstlich schwacher Dollar, gegen den sich andere Staaten wegen der dann fixen Kurse kaum wehren können, soll die USA zu neuen Exporterfolgen führen.
Gefährdete Autoindustrie
Die EU hat sich bisher schon erfolgreich von China düpieren lassen. Die einst so erfolgreiche europäische Photovoltaikproduktion etwa ist von der fernöstlichen kolonialen Subventionspolitik regelrecht überrollt worden. Strafzölle kamen – wenn überhaupt – viel zu spät. Jetzt ist die Autoindustrie dran. In Sachen E-Mobilität hat China seine Lieferketten von den Rohstoffen bis zum fertigen Fahrzeug perfekt im Griff. Selbst stolze deutsche Nobelmarken wie BMW müssen den für Otto-Normalverbraucher erschwinglichen Teil ihrer Flotte inzwischen zähneknirschend in China fertigen lassen. Wenn jetzt auch noch die CO2-Strafsteuer für die Verbrenner zuschlägt, dann werden sich wohl vielerorts die Werkstore schließen. In der italienischen Autoindustrie ging die Zahl der produzierten Fahrzeuge von 2023 auf 2024 in nur einem Jahr um fast die Hälfte (46 Prozent!) zurück. Die Diskussion um Werksschließungen bei VW lässt ähnliche Szenarien bei unserem nördlichen Nachbarn erwarten. Die Probleme bei österreichischen Zulieferern vor allem in der Steiermark und in Oberösterreich aber natürlich auch in Kärnten nehmen zu, während Produktion und Produktivität schwinden. Das Gespenst der Deindustrialisierung geht um.
Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Europa, in dem die einst stolzen Kolonial-Großmächte immer noch kleinkariert die nationalen Wunden ihres massiven Bedeutungsverlusts lecken, jetzt ihrerseits durch den Neokolonialismus Chinas und der USA von der Weltbühne gefegt zu werden drohen. Aber in blinder Realitätsverweigerung vermuten die Nationalstaaten den Feind immer noch im Zentrum der EU in Brüssel, statt in Peking oder Washington. Rechtsradikale Kleingärtner mit Autarkie-Phantasien duellieren sich in den Sozialen Medien mit kapitalismuskritischen linken Umverteilern und allerhand Verschwörungstheoretikern. Wenn wir nicht bald Vernunft annehmen, dann heißt es wirklich demnächst Ex-Wohlstand statt Export.