Als einsamer Mahner hält A.o. Univ.-Prof. Norbert Wohlgemuth mit seinem Kärntner Institut für Höhere Studien (KIHS) im Klagenfurter Lakesidepark die Stellung. Rekordverschuldung, Abwanderung, Koralmbahn – der Volkswirt spricht Klartext.
Im Jahr 2019 wurde dem Wirtschaftsforschungsinstitut KIHS die Basisförderung gestrichen. Der Kärntner Finanzreferentin Gaby Schaunig (SPÖ) dürfte es nicht geschmeckt haben, dass dessen Leiter Norbert Wohlgemuth in seinem im Quartalsrhythmus erscheinenden Konjunkturreport die – trotz vor der Pandemie blendender Wirtschaftslage – hohe Neuverschuldung kritisiert hatte. Das vermuteten damals nicht nur die Medien. Nachzulesen ist es zum Beispiel hier. Tatsächlich wurde dem KIHS fast gleichzeitig der Auftrag für den jährlichen Wirtschaftsbericht des Landes entzogen. Auch über die darin in ähnlicher Weise formulierten Empfehlungen war das Finanzreferat alles andere als erfreut.
Kärntner Schuldenexplosion
Denn verbiegen wollte und will sich der engagierte Volkswirt an der Uni Klagenfurt nicht. Die hohe Verschuldung des Landes macht ihm große Sorgen. Für eine Enquete des Landtags hat er im April 2024 die Zahlen zusammengestellt. Die aktuelle Verschuldung beträgt pro Kopf bereits 6.700 Euro. Werde der geplante Budgetpfad fortgeschrieben, dann könnte dieser Wert bis zum Jahr 2028 auf über 11.000 Euro steigen. Allein im Budget 2024 ist eine Neuverschuldung von fast 500 Mio. Euro vorgesehen. Wohlgemuth war übrigens nicht der einzige, der bei der Enquete auf eine Konsolidierung des Budgets drängte. Auch der bekannte Steuerberater und gelegentliche Zeitungskolumnist Johann Neuner stieß ins selbe Horn.
Volkswirt durch und durch stellt Wohlgemuth klar: „Die öffentlichen Schulden dürfen nicht schneller steigen als die Wirtschaftsleistung.“ Der Schuldenexplosion in Kärnten stehe allerdings eine bescheidene Performance der Wirtschaft gegenüber. Vor allem der dominante produzierende Sektor steckt in einer hartnäckigen Rezession. Das dürfte der Landesregierung nach der alarmierenden Enquete klar geworden sein, vermerkt Wohlgemuth anerkennend. Ganz freiwillig dürfte das im Juli vorgestellte Sparpaket allerdings doch nicht geschnürt worden sein. Wohlgemuth vermutet, dass „der Finanzminister Schwierigkeiten gemacht hat“. Denn nur in einem vorgegebenen Rahmen können sich hoch verschuldete Bundesländer zu den Konditionen des Bundes über die OeBFA, die Bundesfinanzierungsagentur, frisches Geld holen.
Großbaustelle Gesundheit
Plötzlich war jedenfalls von 300 Mio. Euro Einsparungen im Kärntner Budget die Rede und davon, dass die Landesabteilungen die Möglichkeit zur Reduktion von jeweils neun Prozent ihrer Budgets prüfen sollen. Die Rasenmäher-Methode hält Wohlgemuth allerdings nicht für klug. Er spricht dagegen von „intelligentem Sparen“ – gerade bei den wirklich großen Ausgabenblöcken wie der Gesundheit. Wohlgemuth verweist auf den Landesrechnungshof, der regelmäßig Beispiele aufzeige, wie man trotz geringerer Ausgaben eine bessere Qualität der öffentlichen Dienstleistung erbringen könne. Das betreffe die Spezialisierung in den Krankenhäusern genauso wie die Reduktion kleiner Schulstandorte durch die Etablierung von Schulzentren.
Beim Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern im Gesundheitswesen wird Wohlgemuth emotional. Da würden perverse Anreize gesetzt: „Man schickt Patienten dorthin, wo wer anders zahlen muss“. Die Vorschläge lägen längst am Tisch: „Eine Stelle soll dafür zuständig sein, aus, basta, fertig!“ Aus der Innenperspektive heraus sei das System nicht reformierbar, es brauche den Blick von außen. Auch „Case Studies“, also positive Fallbeispiele aus anderen Regionen, könnten helfen. Wie dringend der Handlungsbedarf bereits ist, wird Wohlgemuth nicht müde zu betonen: „Kärnten steht mit dem Rücken zur Wand!“.
Zehntausende abgewandert
Dass sich die Kostensituation im Gesundheits- und Sozialwesen in den kommenden Jahren von selbst entschärfen wird, glaubt der Wirtschaftsprofessor wegen der prekären Bevölkerungsentwicklung jedenfalls nicht. Kärnten ist das am stärksten von Überalterung betroffene Bundesland. Die Jungen wandern ab. Das dokumentiert er anhand erschreckender Zahlen: Seit dem Jahr 1996 sind innerhalb Österreichs um 30.000 Personen mehr aus Kärnten abgewandert als zugewandert. Während der Pandemie hatte Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) noch über eine Trendwende gejubelt. Großstädter, die sich im Lockdown in ihren Wohnungen eingesperrt fühlten, drängten zurück aufs Land. Seit dem Ende der bedrohlichen Formen der Pandemie habe sich die Abwanderungsdynamik aus Kärnten aber sogar noch verstärkt, bedauert Wohlgemuth.
Chance Koralmbahn?
Und die Koralmbahn? „Ich bin da schon etwas skeptisch“, weigert sich der Volkswirt in den Chor derer einzustimmen, die darin ausschließlich die Chancen wittern. Die Fachliteratur sehe das ganz anders: „Wenn sich zwei Regionen näher kommen, weil sich die Transportkapazitäten verbessern, dann beobachtet man normalerweise den Gravitationseffekt: Die größere der beiden Regionen profitiert überproportional. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Steiermark deutlich mehr profitiert als Kärnten.“ Wohlgemuth will damit keineswegs „alles prinzipiell schlecht machen“. Er sieht das eher als Aufforderung, intensiv an den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu arbeiten.
Globalisierung ist ein Segen
Große Anerkennung zollt Norbert Wohlgemuth auch der Exportregion Kärnten. Sie erwirtschaftet ja im Warenhandel einen Exportüberschuss (gerechnet werden da die Warenexporte minus den -importen) von über einer Milliarde Euro. Das schaffen bei weitem nicht alle Bundesländer. Deshalb verteidigt er auch vehement die Segnungen der Globalisierung. Er fordert die Kärntner Landesregierung auf, dass sie sich gegen Protektionismus (z.B. Strafzölle zum Schutz der eigenen Wirtschaft) einsetzt. Und es ist ihm völlig unverständlich, warum man so lange über das Mercosur-Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Staaten verhandelt hat: „Es ist pervers: die Rohstoffe, die wir für Elektroautos und die Energiewende brauchen, die hätten wir schon gerne, aber Agrargüter wollen wir nicht importieren?“ Die Antwort auf diese Frage gibt er sich gleich selbst: „Da schlägt das mangelnde Finanz- und Wirtschaftswissen der Bevölkerung durch.“
Am Ende unseres Gesprächs nimmt er noch einen Kommentar aus der aktuellen Ausgabe der Financial Times zur Hand. Dessen Grundtenor findet seine volle Zustimmung: „Mit den USA werden wir es wirtschaftlich nie aufnehmen können, solange wir immer mehr regulieren – ein regulatorisches Monster nach dem anderen, das Lieferkettengesetz und der Green Deal sind dafür aktuelle Beispiele. “
Irgendwann wird Norbert Wohlgemuth bewusst, wie negativ sein Befund insgesamt ausgefallen ist: „Mir wäre es ja auch lieber, wenn ich Super-Neuigkeiten verkünden könnte“. Als Volkswirt muss man sich wohl in Zeiten wie diesen mit seiner Rolle der Kassandra abfinden. Gehört werden will er anders als die dunkle antike Wahrsagerin aber schon.